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Nürt. Blutbibel

Die Nürtinger Blutbibel von 1634

eine evangelische Reliquie aus dem Dreißigjährigen Krieg

Nach der für die Evangelischen so verhängnisvollen Schlacht von Nördlingen am 28. August 1634 drangen die kaiserlichen Truppen ins württembergische Land vor. Schutz vor den herannahenden Truppen war allenfalls noch in den befestigten Städten zu finden. So machte sich auch Pfarrer Georg Wölflin von Owen/Teck auf, um nach Nürtingen zu fliehen, weil in Kirchheim/Teck niemand mehr eingelassen wurde. Mitgenommen hatte er seine schmale Handbibel. In Nürtingen auf der Empore („Borkirche) der Stadtkirche soll er am 7. September zusammen mit 114 anderen Personen ums Leben gekommen sein. Ein spanischer Soldat stach zweimal auf ihn ein und erschoß ihn dann, eben als er in seiner Bibel die Stelle 2. Timotheus 4, 7 ff. aufgeschlagen und gelesen hatte:

7 Ich habe einen guten kampff gekempffet /
ich habe den lauff vollendet /
ich habe glauben gehalten.
8 Hinfort ist mir beygelegt die kron der gerechtigkeit /
welche mir der Herr an jenem tage
der gerechten richter geben wird /
nicht mir aber allein /
sondern auch allen
die seine erscheinung lieb haben.

Die Bibel, 1627 bei Eberhard Wild in Tübingen, stellt die erste im handlichen Duodezformat gedruckte deutsche Bibel im Herzogtum Württemberg dar. Sie enthält, wie viele andere Ausgaben der Zeit, auch den durch ein Reisegebet erweiterten "Morgen- und Abendsegen" des Johannes Habermann (Avenarius).

Das besondere Exemplar, die sog. "Nürtinger Blutbibel", erhielt Herzog Karl Eugen im Jahr 1787 von der Schwiegertochter des früheren Obermarschalls von Walbrunn als Geschenk für seine Bibliothek (Löffler, S. 34).

Das Blatt mit den beiden oben zitierten Versen aus dem 2. Timotheusbrief zeigt mehrere - heute schwarze - Blutflecken. Weiter unten am Ende des 4. Kapitels sieht man einen etwa 3 cm langen Riß, der vielleicht von einem Degen stammen könnte.

Leider ist der Band heute vom Verfall gezeichnet. Der hintere Teil des Neuen Testaments, der während des Kampfes aufgeschlagen war, ist nur noch ein Blätterwald, so daß man sich kaum getrauen darf, dort überhaupt aufzuschlagen. Nahezu alle Blätter sind sehr stark gebräunt. Das Original kann demnach weder von Privatpersonen eingesehen, noch zu Ausstellungen verliehen werden. 

Die Seite mit 2 Tim 4, 7ff. wurde jedoch auf Seidenpapier aufgezogen und gescannt.

Vorne im sog. Spiegel ist ein Zettel eingeklebt mit lateinischen Distichen, die vermutlich von Wölflins Sohn Christoph stammen. Hier wird das Schicksal des Vaters in Verse gefaßt.

Die Distichen lauten:

Quo fuga te duxit, fugitivi terminus aevi
Hic, quanquam fovit spes meliora, fuit.
Nam postquam irrupit Furiis accensa latronum,
Insontum nulli parcere sueta, cohors;
In manibus fuerant (sed dudum mente reposta.)
Exilii fidus, Biblia Sacra, comes:
Et quantum omen inest? digitis, moribunde, notasti
(pagina quod nobis sparsa cruore probat.)
Tarsensis pugnam, quam depugnaverat olim
Felicem, cujus justa corona comes.
O fervens studium, sic Biblia volvere Sancta,
ut proprio signes sanguine lineolas! 

Wohin dich die Flucht auch lenkte,
des flüchtigen Lebens Ende war hier,
wiewohl Hoffnung Besseres nährte.
Wie von Furien getrieben
war eine Horde von Räubern eingefallen,
gewohnt, keinen der Unschuldigen zu verschonen.
In den Händen war die Heilige Schrift geworden,
(aber im Geiste schon beiseite gelegt)
dem Sterbenden ein treuer Begleiter.
Und welches Zeichen findet sich darin?
Mit den Fingern hast du, dem Tode nahe,
(die blutverschmierte Seite beweist es uns)
auf den Kampf des Paulus hingedeutet,
den er einstmals glücklich zu Ende gekämpft hatte.
Ihm gebührt die Krone der Gerechtigkeit.
O glühender Eifer, die Heilige Schrift so zu wenden,
daß du mit deinem eigenen Blute die Bibelstelle deutest .

Eine weitere zeitgenössische Quelle bietet die Leichenpredigt des Stuttgarter Stiftspredigers Johann Lorenz Schmidlin auf den Sohn Christoph Wölfflin vom 2. November 1688.

Unter Personalia wird auf S. 35f. auch der Vater Christoph Wölfflins und dessen Schicksal  erwähnt:

Sein frommer und gottseliger Herr Vatter war / der weiland / Ehrwürdige und Hochgelehrte Herr M. Georg Wölfflin / damahlen Diac[onus] zu Kirchheim / hernach aber Treu-eifferiger Pfarrer zu Owen. Dann derselbe in der laidigen Landes-Occupation zu Nürtingen / in der Kirchen von einem Spannischen Soldaten durchstochen worden / und weil er eben seine Hand-Bübel vor sich hatte / wurd durch solchen Stich mit seinem Blut bezeichnet / der Spruch Pauli / 2. Tim. 4. Ich habe einen guten Kampff gekämpffet / etc. und seynd auch die vestigia solches Märter-Bluts auf der Fürstl. Bor-Kirchen [Emporenkirche] bißher unauslöschlich / geblieben.

 

Handschriftliche Quellen:

Distichen von Christoph Wölflin, dem Sohn, vorne im Spiegel eingeklebt.

Landeskirchliches Archiv Stuttgart, A12, Diener- und Stellenbücher, Nr. 8, Gestorbene Geistliche, 1616-1786, Eintrag 1634.09.07

Johannes Laurentius Schmidlin: Bey sehr trauriger Leich-Begängnuß deß weiland Hoch-Ehrwürdigen Groß-Achtbarn und Hochgelehrten Herrn Christophori Wölfflins ... welcher den 30. Octobr. anno 1688. nachts um 10. Uhr / ... entschlaffen / den 2. Novemb. hernach ... bestattet worden. Stuttgart 1688. - S. 35 f. 

Sekundärliteratur:

Blätter für württembergische Kirchengeschichte (BWKG) 8.1890, S. 78

Blätter für württembergische Kirchengeschichte (BWKG) 8.1893, S. 28ab

Blätter für württembergische Kirchengeschichte (BWKG) N.F.32.1928, S. 298

Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg, Nr. 35 vom 31.08.1952 

Evangelisches Gemeindeblatt für Württemberg, Nr. 16 vom 15./20.04.1984, S. 4 = Unsere Kirche unter Gottes Wort, 1985

Die Nürtinger Blutbibel von 1634. - In: Albrecht Ernst: Verwüstet und entvölkert: der Dreißjährige Krieg in Württemberg ; Katalog zur Ausstellung des Hauptstaatsarchivs Stuttgart. - Stuttgart, 1998. - Nr. 5.06, S. 56.

Benigna von Krusenstjern: Seliges Sterben und böser Tod. Tod und Sterben in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. - In: Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe. - Göttingen 1999. - S. 469-496, bes. S. 481.

Theo Braun: Ein Reisesegen, der zum Lebensziel führt. - In: Auf dem Wege : Illustrierte für die Ferienzeit / Evangelische Landeskirche in Württemberg / Evangelischer Gemeindedienst für Württemberg, Kirche in Freizeit und Tourismus. - Stuttgart, 2001. - S. 20.

Die sogenannte Nürtinger Blutbibel. - In: Die Bibel und Württemberg : die Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek ; Katalog zur Ausstellung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart vom 13. Mai bis 31. Juli 2009 / Ausstellung und Katalog: Eberhard Zwink. Stuttgart 2009. - Nr. 049, S. 57-59.

Bibliographischer Nachweis:

Die Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart / bearb. von Stefan Strohm. Stuttgart-Bad Cannstatt
Abt. 2, Bd. 2, Tl. 1, Nr. E 743 - B deutsch 1627 03.

 Eberhard Zwink


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