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36-zeilige Bibel
Die Stuttgarter Sechsunddreißigzeilige Bibel (B 36)
Vermutlich ist die Sechsunddreißgzeilige Bibel nach heutigem Wissen eher die dritte als die zweite der lateinischen Bibel-Inkunabeln, die aber nicht, wie früher oft angenommen, auch in Mainz von Johannes Gutenberg gedruckt wurde, sondern nach neueren Forschungen in Bamberg nicht nach 1461 anzusiedeln ist. Die Einbände des Stuttgarter Exemplars können zur Identifikation beitragen.
Der Einband
In der Zeit zwischen 1450 und 1550 war es im deutschen Sprachraum Sitte, Bücher in Holzdeckel mit Lederüberzug zu binden. Das Leder auf Vorder- und Rückdeckel wurde gerne verziert, zum einen mit Streicheisenlinien, zum anderen mit Blindstempeln. Die Stempelmotive Flechtknoten und Lautenspieler der ausführenden Werkstatt weisen nach Bamberg. Leider ist schon sehr früh von den drei ursprünglichen Teilbänden der zweite verloren gegangen. In der Bayerischen Staatsbibliothek München befindet sich zwar „nur“ ein Teilband zwei aus derselben Werkstatt, aber die inneren Buchmerkmale der Illuminierung weichen von den Stuttgartern ab.
Da sowohl der Druck der B 36, als auch der Einband des hiesigen Exemplars vom Binder der Stuttgarter B 36 (Schwenke 1919) äußerst selten sind und in die früheste Inkunabelzeit weisen, ist die Stuttgarter B 36 trotz des fehlenden zweiten Teils als noch wertvoller als die Gutenbergbibel anzusehen.
Schelhorn und Meermann
Der Besitzgang war folgender: Karl Eugen kaufte die Bibel auf seiner Reise zu den oberschwäbischen Klöstern am 15. Febr. 1785 (Karl Eugen 1968, S. 205) vom jüngeren Johann Georg Schelhorn, der das Werk von seinem Vater geerbt hatte. Der ältere Schelhorn, Superintendent und Stadtbibliothekar, gehörte zu den eifrigen Forschern der Buchdruckgeschichte im 18. Jahrhundert. Er selbst war der Überzeugung, dass die B 36 das erste Druckwerk einer Bibel gewesen sein müsse, da sie wegen der großen Typen von hölzernen Lettern gedruckt sei. Zudem sah er eine Verbindung der Schriftform in einem frühen Ablassbrief mit der Gestalt der Typen in der Bibel. Dem widersprach der niederländische Jurist und Büchersammler Gerardus Meerman in Den Haag, der zwar auch an die „Holztheorie“ glaubte, aber der B 42 den Vorrang geben wollte. Da das Kopieren damals mühsamer war als heute, riss Schelhorn kurzerhand das erste Blatt aus Teil 1 seiner B 36 heraus und schickte es 1766 zusammen mit dem Ablassbrief nach Den Haag.
Meerman war nun von der Auffassung Schelhorns überzeugt. Das Blatt und der Ablassbrief befinden sich als buchgeschichtliche Kuriosa heute noch im später errichteten Museum Meermanno-Westreenianum (Van Hel 2002).
Der Beweis für den Vorrang der 42-zeiligen Bibel
Heute nimmt man an, dass Druckergesellen aus Gutenbergs Schule nach Bamberg kamen und im Hause von Albrecht Pfister arbeiteten. Da Pfister im Jahr 1461 eine hervorragende Inkunabel, nämlich den Edelstein von Ulrich Boner herausbrachte (sehr selten! GW 4839), wird bezweifelt, dass er selbst am Druck der B 36 beteiligt war. Eindeutig ist, dass die anonymen Drucker eine B 42 zur Vorlage hatten. Beweis dafür ist auch das Stuttgarter – und wie zu erfahren war, auch das Pariser Exemplar: Auf Bl. [10]verso hat der Setzer durch Überblättern rechts eine falsche Spalte gesetzt. Man kann nachvollziehen, dass er hierbei eine 42-zeilige Bibel als Vorlage hatte, was die Priorität nun eindeutig festlegt (Dziatzko 1890). Als man später den Fehler bemerkte wurde – ähnlich wie beim Stuttgarter Exemplar der B 42 – in einer sog. Presskorrektur geändert, aber der falsch gedruckte Bogen trotzdem verwendet. Der Illuminator klebte einen Pergamentstreifen über die falsche Spalte nur im Interkolumnium fest, so dass man den Text darunter lesen kann.
Leseerleichterung durch ein weiteres Pergamentblatt in Teil 3
Noch eine Besonderheit: Es gibt von Buchbinderseite Exemplare, die in zwei, aber auch der Handlichkeit wegen in drei Bände gebunden sind. Zu den „Dreibändern“ gehört das Stuttgarter Exemplar, wie schon angedeutet. Die Trennung in Teilbände nimmt man heutzutage so vor, dass in einem neuen Band auch ein neues Kapitel o. ä. anfängt. Beim Druck der B 36 nahm man darauf keine Rücksicht. Der Buchbinder trennte hinterher eben in etwa drei gleich große Portionen und musste nur mit einer vollständigen Lage abschließen. Dadurch ergab sich, dass das Buch Baruch gerade mal mit seiner Vorrede und Kap 1, 7 im Band 2 verbleib, der Rest in den Teil 3 kam. Auch hier hat der Illuminator korrigierend eingegriffen. Er fügte in Teil 3 ein Pergamentblatt ein und schrieb den zu Baruch gehörenden Text noch einmal, die Schrift imitierend, ab. Da er viel Platz hatte malte er zwei wunderschöne und für die Lesefreundlichkeit ausladende Initialen hinzu.
Dies alles zeugt noch von einer gewissen Unbeholfenheit in der neuen Buchdruckerkunst. Umso mehr hat beinahe 10 Jahre vorher das Mainzer Unternehmen mit Gutenberg selbst erstaunlich perfekt gearbeitet.
Eberhard Zwink
Literatur:
(Dziatzko 1890) Dziatzko, Karl: Gutenbergs früheste Druckerpraxis : auf Grund einer mit Hülfe der Herren W. Bahrdt, Karl Meyer und J. Schnorrenberg ausgeführten Vergleichung der 42zeiligen und 36zeiligen Bibel. –Berlin 1890. (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten. Heft 4).
(Karl Eugen 1968) Karl Eugen <Württemberg, Herzog>: Tagbücher seiner Rayßen nach Prag und Dresden, durch die Schweiz und deren Gebürge, nach Nieder-Sachßen und Dännemarck, durch die angesehensten Clöster Schwabens, auf die Franckforter Messe, nach Mömpelgardt, nach den beiden Königreichen Franckreich … : in den Jahren 1783–1791 / vom Herzog Carl Eugen selbsten geschrieben und ... Franziska von Hohenheim gewidmet... Hrsg. von Robert Uhland. – Tübingen 1968.
(Schwenke 1919) Schwenke, Paul: Die Buchbinder mit dem Lautenspieler und dem Knoten. – In: Wiegendrucke und Handschriften. Festgabe Konrad Haebler zum 60. Geburtstag. Dargebracht von Isak Collijn. Erich von Rath (Hrsg.). – Leipzig 1919, S. 122–140, bes. S. 138–140.
(Van Heel 2002) Van Heel, Jos: Baron van Westreenen en de Meerman-collectie. – In: Jaarboek van het Nederlands Genootschap van Bibliofilen. – <st1:city><st1:place>Amsterdam</st1:place></st1:city> 2002 (2003), S. 81–83; mit Abbildung des ersten Blattes der Stuttgarter B 36 auf S. 82.
(Zwink 2009) Die Stuttgarter 36-zeilige Bibel : exemplarspezifische Merkmale und Aufhellung des Provenienzgangs. – In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. 64 (2009), S. 207–220. Dass. mit weiteren Abbildungen in: wlb-forum. 12 (2010), Heft 1. S. 2-19. http://www.wlb-stuttgart.de/fileadmin/user_upload/die_wlb/WLB-Forum/forum2010_1.pdf
2011 wurden im Rahmen einer exklusiven Bibelschau die beiden Bände der Stuttgarter B 36 in der Bibelgalerie Meersburg ausgestellt. Dazu erschien folgendes Begleitbuch:
Von Gutenberg bis Luther : die Faszination früher Bibeldrucke ; mit einzigartigen Schätzen aus der Württembergischen Landesbibliothek ; [Sonderausstellungsreihe 9. April bis 9. Oktober 2011] / Bibelgalerie Meersburg. [Konzeption und Text: Eberhard Zwink]. - Meersburg : Bibelgalerie, 2011. - 33 S.