Versorgungsprobleme Großbritanniens

 

Hitlers Weisung Nr.23 vom 6.Februar 1941: »Richtlinien für die Kriegsführung gegen die englische Wehrwirtschaft« stellte im Gegensatz zu früheren Auffassungen fest, dass der Tonnagekrieg das effektivste Mittel sei, um England niederzuzwingen.

 

Versenkungsziffern höher, als die Werften ausgleichen konnten

Costello/Hughes S.184/185:

Die unbarmherzigen Bombenangriffe der Luftwaffe unterbrachen die Verkehrsverbindungen und zerstörten die Häfen, auf See verstärkten die Überwasserschiffe und die U-Boote der Kriegsmarine ihre Angriffe auf die atlantischen Lebensadern. Nach einem absoluten Tiefpunkt im Januar 1941 stiegen die Versenkungsziffern im Februar wieder auf über 400000 Tonnen, wobei 39 Schiffe von U-Booten, 28 von Überwasser-Raidern, 27 durch Görings Bomber und 10 durch Minen versenkt wurden. Da die U-Bootflotte ständig verstärkt wurde, hatte Dönitz mehr einsatzfähige Boote, mit denen er dem Ausweichen der Geleitzüge begegnen konnte. Der schreckliche Blutzoll, der den Handelsschiffen abverlangt wurde, beunruhigte Churchill und das Kriegskabinett. Sie verloren Schiffe mit einer Rate von über 6 Millionen Tonnen im Jahr [1942], mehr als dreimal so viel, wie die Werften bauen konnten.

Konnte die Kriegswirtschaft das Jahr 1942  überdauern?

Der ständige Rückgang der Ladekapazität wirkte sich auf das Importprogramm aus. Ursprünglich hatte man gehofft, 1941 43 Mio. Tonnen Nahrungsmittel und Rohstoffe nach England zu bringen. Aber Mitte März mußte diese Zahl um fast ein Fünftel gekürzt werden, und dann mußte eine weitere Verminderung um 5 Mio. Tonnen angeordnet werden. Die größten Kürzungen wurden bei den Rohstofflieferungen vorgenommen. Die Nahrungsmittelimporte wurden auf ein Minimum von 15 Mio. Tonnen festgelegt, aber selbst dies mußte später um fast 2 Mio. Tonnen gekürzt werden. Das bedeutete, daß mehr Vieh geschlachtet werden mußte, um die Fleischimporte zu reduzieren. Wenn die derzeitige Verlustrate anhielt, konnte die Kriegswirtschaft das Jahr 1942 nicht überdauern. »Wie gern hätte ich einen großen Invasionsversuch gegen diese maßlose Gefahr eingetauscht, die sich in Karten, Kurven und Statistiken ausdrückte«, schrieb Churchill.

"Gewaltiges Schiffbauprogramm notwendig"

Blair, S.134/135:

Es lohnt, sich die erschreckende Herausforderung noch einmal vor Augen zu führen, der sich die [deutsche Kriegsmarine] damals gegenübersah. Ohne Küstenfahrzeuge und Frachtschiffe bis zu 1600 BRT hatte die Handelsflotte des Commonwealth etwa 3000 Schiffe mit insgesamt 17,5 Millionen BRT, darunter 450 Tanker mit 3,2 Millionen BRT. (...) Churchill vertrat die Position, die Handelsflotte des Commonwealth müsse jährlich um 3 Millionen BRT aufgestockt werden, um den Verlust an Schiffen - und an Importen - durch die U-Boote und das Konvoisystem auszugleichen und einen effektiven Krieg führen zu können.

Unersetzbarer Verlust an Menschenleben

Blair, S. 494/495

Die Versenkung von 5,3 Millionen BRT britischer und »neutraler« Handelsschiffe durch die U-Boote der Achsenmächte war unleugbar ein schwerer Schlag, wobei der hohe Verlust von Menschenleben in den Reihen der britischen Besatzungen für Handelsschiffe besonders ins Gewicht fiel. Die Admiralität bezifferte den Verlust am 31. Dezember 1941 auf 9267 Mann. Die meisten starben schnell und gräßlich bei den Explosionen und in den sinkenden Schiffen, und andere hingegen erlitten einen langen qualvollen Todeskampf auf Rettungsbooten und Flößen. Obwohl statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit, daß ein Schiff getroffen oder versenkt wurde, sehr niedrig war, wurde für die Besatzungen jede Reise zu einem langen, grauenhaften Alptraum.

Aber der Verlust an Schiffsraum war bereits kompensiert

In Berichten über die Schlacht im Atlantik in dieser Phase wird eine Tatsache selten erwähnt: Die Briten waren bemerkenswerter Weise in der Lage, den Verlust von 5,3 Millionen BRT Schiffsraum durch mehrere verschiedene Maßnahmen zu kompensieren. Unter anderem wurden etwa 2 Millionen BRT neue (und bessere) Handelsschiffe in britischen Werften gebaut, und weitere 4 Millionen BRT wurden von den Achsenmächten und von verbündeten »neutralen« Staaten rechtzeitig konfisziert, gekauft oder gepachtet. Tatsächlich vergrößerte sich die Flotte der britisch kontrollierten Handelsmarine in diesem Zeitraum von 3000 Schiffen mit 17,8 Millionen BRT auf 3600 Schiffe mit 20,7 Millionen BRT. 

Andere Ursachen für den Rückgang der Importe

Die Gesamtimporte der Britischen Inseln fielen jedoch weiter rapide, von etwa 60 Millionen Tonnen im Jahr 1939 auf etwa 45 Millionen Tonnen 1940 und 1941 auf den besorgniserregenden Tiefpunkt von 31 Millionen Tonnen. Bis zum Ende des Jahres wurden fast alle Konsumgüter und Lebensmittel auf den Britischen Inseln rationiert, und sogenannte »Victory Gardens« (Gärten, aus denen man die rationierten Lebensmittel ergänzte) waren von einer patriotischen Geste fast schon zu einer Lebensnotwendigkeit geworden ("Nutzt Spaten statt Schiffe").

Neben den Versenkungen und Beschädigungen von Handelsschiffen durch die U-Boote gab es zahlreiche weitere Ursachen für den drastischen Rückgang der Importe. Die wichtigsten waren die Neuorganisation des Schiffsverkehrs nach streng militärischen Gesichtspunkten und die Verzögerungen durch den Geleitverkehr. Daneben spielten folgende Punkte eine Rolle: Bomben- und Minenschäden an Schiffen und Seehäfen durch deutsche Luftangriffe, die Sperrung von Geleitzugrouten im Mittelmeer, Mängel beim Entladen und Verteilen der Güter in Großbritannien, die Überlastung von Anlagen zur Ausbesserung, Überholung und Reparatur von Schiffen, Probleme mit Werftarbeiterstreiks und eine steigende Zahl von Havarien und Schiffskollisionen, die auf den Geleitverkehr und auf die Schließung von Navigationshilfen und andere kriegsbedingte Beschränkungen zurückzuführen waren.

Quellen:

John Costello / Terry Hughes: Atlantikschlacht. Lübbe: Bergisch Gladbach 1978

Clay Blair: Der U-Boot-Krieg 1939-1942, Ullstein: München 1996