Der "große Plan" einer maritimen Strategie scheitert
von Michael Salewski

Die militärisch entscheidende Zäsur des 2. Weltkrieges war Hitlers Entschluß, die Sowjetunion in einem Rasse- und Vernichtungsfeldzug zu zerschlagen, bevor die Seemacht England gebrochen werden konnte. Die Alternative der maritimen Strategie hatte den Wettlauf um diese Grundentscheidung der nationalsozialistischen Politik verloren, sie rückte in die zweite Dringlichkeit und wurde zum bloßen Folgeprogramm eines angenommenen „totalen" deutschen Sieges im Osten.

Der Verlauf des „Barbarossa"-Feldzuges im Jahre 1941 hatte die Hoffnung, daß es zu einem solchen Sieg kommen würde, als Illusion erwiesen, die deutsche Marine sah sich Ende 1941 in die Rolle der operativen Aushilfe für die kontinentale Strategie gedrängt. Aus den Fesseln, die ihr der Ostkrieg angelegt hatte, schien sie im Dezember 1941 befreit zu werden, als sich der Krieg in Europa mit dem durch Japan neu aufgebrochenen Krieg in Asien verknüpfte. Wenn es nun gelang, ein militärisch fruchtloses Nebeneinander der beiden Partner Deutschland und Japan zu vermeiden; wenn sich die beiden Partner zur echten Koalitionskriegsführung entschlossen, so mußte die maritime Komponente des Krieges wieder an Gewicht zunehmen. Die deutsche Krise im Innern Rußlands würde dann in ihrem Stellenwert herabgestuft, erneut pendelte die Waage der militärisch-strategischen Erfordernisse im Gleichgewicht, und das Ziel der maritimen Strategie mußte es sein, sie zugunsten des Weltseekrieges sich neigen zu lassen.

Die Entwicklung des deutschen seestrategischen Denkens in Jahre 1942 sollte bemerkenswerte Parallelen zu jenen Vorstellungen aufweisen, wie sie die Seekriegsleitung 1940 und 1941 vertreten hatte; ja, die seit Pearl Harbor geschaffene Ausgangslage ließ, einer Fata Morgana gleich, die Möglichkeit auftauchen, das Rad der Geschichte zurück zu drehen, den Grundfehler von 1940/1941 straflos zu korrigieren; das Schicksal schien den Deutschen die einmalige Chance eines Neuanfanges zu bieten, und was sich 1941 als „verderblich" erwiesen hatte, schien nun gerade zu einer wichtigen Voraussetzung eines „Großen Plans" zu werden: der endgültigen Niederringung der angelsächsischen Mächte durch eine gigantische dreifächrige Bewegung, deren erste Stoßrichtung von Südrußland über den Kaukasus in die Irakische Tiefebene zielte, deren zweite von Libyen her über die englischen Stützpunkte Alexandria, Kairo und Suez zum Roten Meer wies, deren dritte, von Japans Flotte getragen, über den Indischen Ozean hinweg sich mit den beiden anderen Offensiven zu vereinigen suchte im Angelpunkt des englischen Kraftfeldes.

Stürzte dieser Pfeiler des Britischen Empires in Asien, vielleicht gleichzeitig mit der Vernichtung der bolschewistischen Macht, und hatte Japan bis dahin die Vereinigten Staaten aus dem pazifischen und indonesischen Raum vertrieben, die amerikanische Flotte versenkt, so mußte nach menschlichem Ermessen der Krieg mit einem Sieg zu Ende gehen, der nur noch die Frage offen ließ, wie sich das Großdeutsche und das Großostasiatische Reich die Herrschaft der Welt in Zukunft zu teilen gedachten.

Reale Chancen, militärische und strategische Spekulationen, ideologisch geprägte Hoffnungen, chiliastische Vorstellungen, unterschwellig verknüpft mit fernen historischen Reminiszenzen an Alexander, Cäsar und Napoleon – das alles sollte sich 1942 in Denken der Seekriegsleitung finden. Es ist von historischem Reiz, diese Gedanken zu verfolgen, sie wachsen, ausufern und schließlich in sich zusammenstürzen zu sehen.


Aus: Michael Salewski, Die deutsche Seekriegsleitung. Band II. 
München 1976, S.72/73