CHRONIK DES JAHRES 1944


Details ... .
  .

Nach den im Gebiet der Ostsee relativ ruhigen Kriegsjahren 1940 bis 1943, ändert sich zu Beginn des Jahres 1944 die Situation in der Ostsee schlagartig. Anlass dazu ist der Ausbruch der sowjet. Leningrad-Front unter dem aus dem Einschließungsring um die Stadt.

Bereits seit dem 5. November 1943 transportiert die Baltische Flotte (Adm. Tributs) unter Leitung von Admiral Levchenko mit Kleinfahrzeugen die sowjet. 2. Angriffsarmee von Leningrad zum Brückenkopf Oranienbaum. Dort werden mehrere Kampfgruppen gebildet. Zu Beginn des Jahres 1944 ist die Überführung der sowjetischen Angriffsarmee abgeschlossen.

Am 14. Januar 1944 greifen russische Armeen (Armeegeneral Govorov) entlang der gesamten Leningrad-Front an und werfen die deutsche 18. Armee zurück. Alle schweren Geschütze, die aufgestellt waren, um die sowjetischen Kriegsschiffe zu bekämpfen und die Festungswerke von Leningrad zu beschießen, müssen zurückgelassen werden. Mit großer Mühe gelingt es den deutschen Truppen, zwischen Narva und Peipussee eine neue Front zu bilden und eine Verbindung zu der weiter südlich operierenden Armee herzustellen. 

Sowohl die Rotbannerflotte als auch die Marineluftstreitkräfte werden wesentlich verstärkt. Zu Wasser und in der Luft bieten die Sowjets alles auf, um die Ostsee zurück zu erobern. 

Die deutsche Marine verstärkt die Bewachung der Minensperren, die den Vorstoß russischer Schiffe in die östliche Ostsee verhindern oder zumindest aufhalten sollen. Am 13. März beginnt der Netzsperrverband mit der Auslegung des U-Boot-Netzes "Walroß" zwischen Nargön und Porkkala. Marinefahrprähme der 24. L-Flottille, M- und R-Boote ergänzen die Minensperre "Nashorn", die Minenschiffe LINZ, ROLAND, BRUMMER, Zerstörer der 6. Z-Flottille und M-Boote erneuern gemeinsam die "Seeigel"-Sperren.

Diese Aktionen bleiben nicht unbemerkt. Erstmals am 9. März 1944 werden Sperrwachboote von sowjet. Flugzeugen massiv angegriffen. Im Verlauf des Monats März werden an diesem Abschnitt der Ostseefront nicht weniger als 7000 Bomben geworfen, dazu kommen Angriffe mit Bordwaffen und Lufttorpedos. Da deutscher Jagdschutz kaum vorhanden ist, sind die deutschen Schiffe auf sich gestellt. 

. Details ...
.  

In der Zeit vom 26. April bis zum 20. Mai legen deutsche Minenschiffe, kleinere Fahrzeuge und Zerstörer 7599 Minen und 2795 Sperrschutzmittel, vom 12. bis 20. Mai legen finnische Minenleger neue Sperren südlich von Suursaari. 

Im Juni 1944 verschärfen sich die Kämpfe an Land und auf See zusehends; der erwartete sowj. Angriff gegen die der karelischen Landenge vorgelagerten Inseln beginnt. Am 23. Juni sind alle Inseln geräumt und von den Sowjets besetzt. Die Verluste der deutschen Marine im Juni und Juli 1944 in der Ostsee sind nicht unerheblich. Eine ganze Reihe von Minensuchern geht verloren, ebenso der Flakkreuzer NIOBE.

Ende Juli 1944 gelingt es einem sowjet. Panzerkeil bis zum litauischen Siauliai vorzustoßen und sich der alten preußischen Seestadt Memel bis auf 140 km anzunähern. Die Dienststellen der NSDAP versuchen alles, die Lage zu verharmlosen, allen voran der Königsberger Gauleiter Erich Koch. Da in Memel nichts über die Frontlage bekannt gegeben wird, ergreift der Chef der in Memel stationierten 24. U-Boot-Schulflottille, FKpt. Mertens, die Initiative. Er schickt  einige erfahrene U-Boot-Offiziere mit einem Funktrupp nach vorn, um sich über die Frontlage zu unterrichten. Für ihn ist diese Information wichtig, um sich zu vergewissern, daß der Ausbildungsbetrieb der 24. U-Boot-Schulflottille weiterhin ungehindert fortgeführt werden kann. Merten erfährt allerdings, daß Memel in Gefahr ist. Kurzerhand teilt er seine Ermittlungen  dirket dem Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Dönitz, mit. Dieser erteilt ihm alle Vollmachten, die Räumung der Stadt Memel und anschließend auch des Hafens einzuleiten. 

Einige hundert Kilometer nördlich von Memel zwingen die Russen an der Front der Narwa die deutschen Truppen zum weiteren Rückzug, erreichen den Rigaer Meerbusen, schneiden den Rückweg entlang des Südufers ab. Auch der größte Teil Estlands geht verloren. Reval, der Haupthafen, wird abgeschnitten und ist nur noch von See her erreichbar. 

.
  .

Im September 1944 verschlechtert sich die Lage weiter, nachdem der finnische Ministerpräsident Hackzell den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ankündigt und den Abzug der deutschen Truppen aus Finnland fordert. Am 4. September stellt die finnische Wehrmacht an der gesamten Front gegen die Sowjetunion die Kampfhandlungen ein. Bis zum 21. September werden aus den finnischen Ostseehäfen 4049 Soldaten, 3336 Verwundete, 746 Fahrzeuge und 42.144 Tonnen Kriegsmaterial abtransportiert. Damit endet die deutsche Kontrolle der Minenfelder im Bereich des Finnischen Meerbusens. 

Unter dem Druck der weiter im Süden nach Estland hineinstoßenden sowjetischen Armee setzt sich das III. SS-Panzerkorps am 18. September aus der Narva-Stellung nach Westen ab. Das nächste Angriffsziel der Sowjets ist Reval. Eine Evakuierung der Stadt ist unvermeidbar. Innerhalb weniger Tage verlassen mehrere Geleitzüge mit einer Gesamttonnage von 1,8 Mill. BRT, geleitet von Minensuchern und Küstenschutzbooten, den Hafen von Reval und bringen 91.000 Soldaten, 85.000 Flüchtlinge und 82.000 Tonnen Kriegsmaterial über die Ostsee in deutsche Häfen. Der letzte Geleitzug verläßt Reval am 23. September 1944. Für die Gefahren der Flucht über See steht in dieser Etappe der Verlust des Dampfers MOERO, bei dessen Versenkung 655 Menschen sterben.

In den letzten September- und den ersten Oktobertagen verändert sich die Kriegslage an der Ostseefront weiter zu Ungunsten der Deutschen. Die Sowjets starten unter Leitung von KAdm. Svjatov einen umfassenden Angriff gegen die baltischen Inseln. Moon, Ösel und Dagö gehen verloren, die deutschen Truppen ziehen sich auf die Halbinsel Sworbe zurück, die trotz heftiger Angriffe mit allen Mitteln gehalten wird. 

Durch das Zurückweichen der deutschen Seefront, die Lücken in den Minen- und Netzsperren und den Verlust von Reval können erstmals sowjetische U-Boote aus dem Finnenbusen in die Ostsee vordringen und bringen den deutschen Transportern neue Gefahren. Am 6. Oktober wird das allein fahrende Motorschiff NORDSTERN mit 600 Flüchtlingen aus Arensburg Opfer eines Torpedoangriffs. Höchstens 100 von ihnen konnten gerettet werden.

Noch Ende Oktober - Riga ist schon in russischer Hand - wird der Rigaer Meerbusen weiter von deutschen Seestreitkräften beherrscht. Dabei benötigen die Sowjets dringend die Irbenstraße, um ihre Truppen versorgen zu können, die zwischen Libau und Memel bis an die Ostseeküste vorgestoßen sind, aber über keinen Hafen verfügen. Da es den Russen nicht gelingt, die deutschen Kriegsschiffe in diesem Operationsgebiet auszuschalten, schlagen auch an Land alle Versuche fehl, durchzubrechen und hinter den deutschen Truppen zu landen. 

Auch weiter südlich wird die Absicht der Russen, auf Libau zu marschieren, durch deutschen Beschuß von See her vereitelt. Die deutschen Truppen bilden um die Häfen Windau und Libau einen großen Brückenkopf, den 26 Divisionen mit 600.000 Mann bis zum Ende des Krieges erfolgreich gegen alle sowjet. Vorstöße verteidigen können.

.
.  

Nachdem im Frühjahr 1945 Königsberg, Pillau, Danzig, Gotenhafen längst in sowjetischer Hand waren, hält der große Brückenkopf Windau-Libau immer noch. Für die ins Kurland zurückgedrängten deutschen Truppen ist dies von größter Bedeutung. Der Weg über die Ostsee in die Freiheit bleibt bis zur letzten Stunde des Krieges für sie offen. Auch für die Etappe des Rückzugs steht ein verlustreicher Schiffsuntergang. Am 29. Oktober verläßt der Verwundetentransporter BREMERHAVEN Windau im Geleit von 2 Minensuchbooten. Er wird von sowjetischen Bombern in Brand gesetzt. Vom 3171 Menschen können 2795 gerettet werden. Doch das Unglück veranlaßt die Neuordnung der Sicherungsverbände in der Ostsee. 

Auch weiter südlich greifen deutsche Seestreitkräfte bei Memel in den Kampf ein. Sie beschießen russ. Heeresverbände, die sich der Stadt immer mehr nähern. Durch massive Feuerunterstützung von See her gelingt es den Deutschen, auch die Stadt Memel bis Frühjahr 1945 zu halten. Vor Memel ereignet sich der letzte verlustreiche Untergang des Jahres 1944. Am 20. November das Motorschiff FÜSILIER mit 250 Soldaten, die vom Urlaub zurück an die Front geschickt werden, in den Bereich der sowjetischen Küstenartillerie. Es erhält Treffer an der Ruderanlage und wird bewegungsunfähig zerschossen. Nur 13 Mann überleben.

Alles in allem verläuft der Rückzug im Jahr 1944 für die Deutschen glimpflich. Die großen Verluste folgen erst mit Beginn des neuen Jahres.


.