Küstenbatterien

Die militärische Führung in Deutschland, besonders Adolf Hitler, zeigte sich anfangs fast überschwenglich begeistert von der Möglichkeit, die Straße von Dover durch den Einsatz von Küstenartillerie komplett zu sperren. Ein Blick auf die Landkarte macht eine solche Einschätzung ja auch verständlich. Am 20.6.1940 zeigte sich selbst die Seekriegsleitung von dieser Idee überzeugt. In einer Konferenz aller Teilstreitkräfte am 15.Juli 1940 wurde das Thema gründlich erörtert. Dabei kam es zu einer kritischeren Einschätzung der Lage. Es wurde klar, dass der Feuerschutz gegen britische Seestreitkräfte von der französischen Kanalküste her alleine nicht ausreichend seine konnte. Das OKH schlug vor, die Straße von Dover nach der Landung von beiden Seiten her zu sperren. Diese Möglichkeit erschien allen Seiten sinnvoll und erreichbar. Die Fernartillerie an der englischen Küste war ja bereits vorhanden. So wurde die Organisation Todt am 22. Juli mit der zeitlich fast unlösbaren Aufgabe betreut, in einem Zeitraum von 2 Monaten die Batterien an der Küste des Pas de Calais und der Normandie aufzustellen. 

Bereits Anfang August war an der Kanalenge die Batterie »Großer Kurfürst« mit 2 Zwillingsdrehtürmen (4x28cm) einsatzbereit, ebenso die Eisenbahnartillerie des Heeres mit 6x28cm und 1x21cm Geschützrohren, wegen unzureichender Schwenkgeschwindigkeit allerdings nur beschränkt einsatzfähig gegen Seeziele . Weitere Eisenbahngeschütze wurden aufgefahren, sollen hier aber nicht im Detail aufgeführt werden. Auch eine Vielzahl von mittleren und leichten Batterien wurde an der holländisch- belgisch- französischen Küste aufgestellt, die vorwiegend dem Schutz des Küstenvorfeldes und der Häfen dienten und daher nicht im Einzelnen aufgelistet werden. Insgesamt wurden 444 Rohre aufgestellt.

DeTe-Geräte (= Radargeräte für Seezielerfassung) waren bis Mitte September bei Kap Blanc Nez, Kap d'Alprech, Kap de la Hague und Cap d'Antifer einsatzbereit. Sie erfassten große Schiffsziele bis zu einer Entfernung vom 40 km, und selbst kleinere Bewachungs fahrzeuge dicht unter der englischen Küste noch recht gut. Neben Funkmessgeräten setzte die Artillerie auch Flugzeuge zur Feuerleitung ein. 


Südflanke: Cherbourg - Isle of Wight

  1. Batterie »Hamburg« 2x24cm
  2. Batterie »Yorck« 1x17cm


Nordflanke: Kanalenge Calais - Dover

  1. Batterie »Oldenburg« 2x24cm
  2. Batterie »Prinz Heinrich« 2x28cm
  3. Batterie »Großer Kürfürst« 4x28cm
  4. Batterie »Siegfried« 4x38cm
  5. Batterie.»Friedrich.August«.3x30,5cm

Ab 12. August nahm die schwere Artillerie bei Calais versuchsweise brit. Konvois unter Feuer. Die erste größere Beschießung eines Geleitzuges aus 13 Handelsschiffen und 2 Zerstörern fand am 22.8. von 10:30 bis 13:00 Uhr statt. Zielbeobachtungsflugzeuge meldeten 2 Treffer. In der 2. Augusthälfte begannen die Briten mit einem 35,6cm-Geschütz und später zusätzlich mit 2x23,4cm Eisenbahngeschützen das Feuer mit Angriffen auf die deutschen Batterien zu erwidern. Bei der großen Entfernung konnte die Wirkung jedoch nicht allzu groß sein. Am 9. September nahmen Heeresbatterien mit tschechischen 24cm-Geschützen Dover unter schweres Feuer. Ein auslaufender Geleitzug mit 20 Schiffen wurde mit 226 Schuss eingedeckt, woraufhin sich das Geleit auflöste, 4 Schiffe liefen nach Dover und 2 nach Deal ein. Ein Schiff zeigte eine Rauchsäule. Nach Aussage Churchill war dies die schwerste Beschießung. 

Sönke Neitzel: Der Einsatz der deutschen Luftwaffe..., S. 109, Fußnote 236:
Bis Ende 1940 wurden in der Dover-Enge beschädigt:
- 11.10.1940 - Inver (1.543 BRT),
- 28.11.1940 - Skipjack (1.167 BRT),
- 29.11.1940 - Fermain (759 BRT),
- 05.12.1940 - Waterland (1.107 BRT).

Als die britische Marine sich zunehmend auf nächtliche Vorstöße mit leichten Kreuzern und Zerstörern verlegte, und die mit Landungsfahrzeugen vollgestopften Absprunghäfen mit Artilleriefeuer eindeckte, wurden die schweren Batterien auch zur Abwehr dieser Angriffe eingesetzt. Am 10. September belegten die Batterien »Oldenburg« und »Prinz Heinrich«  eine Anzahl britischer Zerstörer mit einem Sperrfeuer von 7x28cm und 12x24cm Granaten, das aber völlig wirkungslos blieb. Am 13. September erging daher der Befehl, wegen der Rohrabnutzung gegen leichte Seestreitkräfte nur noch leichte und mittlere Artillerie einzusetzen. Die Küstenbatterien erwiesen sich für die Abwehr einzelner Einheiten als zu ungenau und wären wohl erst gegen massierte Schiffsansammlungen effektiv gewesen.

In der Nacht zum 30. September lief der brit. Monitor Erebus von Dover aus und nahm Calais mit 15 Schuss unter Feuer. Die Batterie »Prinz Heinrich« beantwortete das Feuer mit 9 Schuss. Erebus blieb unversehrt und wiederholte seine Vorstöße am 11. Oktober mit der Beschießung von Dünkirchen und am 10./11. Februar 1941 mit der Beschießung von Ostende. Ebenfalls am 11. Oktober 1940 belegt das Schlachtschiff Revenge Cherbourg mit 120x38,1cm Artilleriefeuer. Die Küstenbatterie »Hamburg« erwiderte das Feuer in freiem Schießen ohne Hilfsmittel, erzielte aber bald deckende Lagen der Salven, worauf das Schlachtschiff den Rückmarsch antrat.

Der Erfolg der deutschen Küstenbatterien an der Kanalenge blieb gering. Kein einziges Handelsschiff wurde versenkt. 7 britische Handelsschiffe mit zusammen ca. 8000 BRT wurden beschädigt bei einem Munitionsaufwand von 1180 Granatschüssen im Jahr 1940. An Kriegsschiffverlusten ließ sich nur der Untergang des alten Radminensuchers Brighton Queen (207 ts) am 1. Juni 1940 durch deutsche Küstenbatterien bei Calais feststellen. Allerdings darf man nicht übersehen, dass größere brit. Handelsschiffe die Straße von Dover erst nach Eroberung der deutschen Batterien 1944 wieder passieren konnten. Im Falle der Durchführung der Operation »Seelöwe« hätten die Ferngeschütze wohl gegen schwere feindliche Einheiten Wirkung gezeigt, gegen leichtere dagegen kaum.  

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