Feuerunterstützung und Fliegerabwehr

Die Operation »Seelöwe« sollte in einem engen, durch Küstenartillerie, Luftstreitkräfte und Minenfelder abgeschirmten Gebiet stattfinden. Was aber konnte die Kriegsmarine gegen die anlaufenden Seestreitkräfte der britischen »Home Fleet« aufbieten?

Nach Verlust der Kreuzer Blücher, Karlsruhe, Königsberg und 10 Zerstörer und Beschädigung der Schlachtschiffe Gneisenau und Scharnhorst beim Norwegen- Unternehmen im Frühjahr 1940 waren von den großen Schiffen nur der Schwere Kreuzer Admiral Hipper, die 3 Leichten Kreuzer Nürnberg, Köln, Emden und die 10 Zerstörer Hans Lody, Karl Galster, Paul Jacobi, Theodor Riedel, Erich Steinbrinck, Friedrich Ihn, Friedrich Eckold, Richard Beitzen, Bruno Heinemann und Hermann Schoemann einsatzbereit, wobei die Zerstörer insgesamt störanfällig waren und nacheinander zur Überholung anstanden. Von den Torpedobooten waren die älteren Einheiten der Raubtier-/Raubvogel-Klasse mit ihren 3x10,5cm Geschützen die brauchbarsten: Seeadler, Kondor, Greif, Falke, Iltis, Wolf und Jaguar waren einsatzbereit. Hinzu kamen noch 4 in Norwegen erbeutete T-Boote Löwe, Tiger, Leopard und Panther mit je 3x10cm Geschützen, 3 Flottentender mit 2x10,5cm Geschützen, T 1 bis T 12 mit jeweils nur 1x10,5cm Geschütz, 3 Schnellbootsflottillen mit 20 S-Booten (ebenfalls störanfällig) und 40 Unterseeboote.

Hält man sich die Menge der verfügbaren Einheiten der deutschen Kriegsmarine im Herbst 1940 vor Augen, so wird verständlich, weshalb der Seebefehlshaber West in seinem Operationsbefehl vom 14. September 1940 den geplanten Einsatz seiner Seestreitkräfte wie folgt abhandeln kann: »3 Gruppen von je 5 U-Booten, alle Zerstörer und T-Boote westlich der West-Minensperre, 2 Gruppen von je 3 U-Booten und alle S-Boote ostwärts der östlichen Minensperren«. Trotzdem bleibt es bemerkenswert, dass die Marine dem direkten Schutz der Landung nur einen einzigen Satz widmete, während die Überlegungen zur Ablenkungsoperation ganze Aktenordner füllen. Zugegeben: legt man beim Vergleich der britischen und deutschen Flotte klassische Maßstäbe an, so kann man der Marineführung nur beipflichten. Der Gegensatz ist schwindelerregend. Auch war der Materialaufwand für den artilleristischen Flankenschutzes nur eine Seite des Problems. Für die Marine bestand zusätzlich die Aufgabe, den Transportflottillen ausreichend starke Deckung gegen U-Boot- und Fliegerangriffe zu verschaffen. Die deutsche Luftwaffe hatte sich bekanntlich im »Kampf um England« weitgehend verausgabt, und nicht einmal die Seeflieger wurden der Kriegsmarine von Göring zur freien Verfügung gestellt. Dennoch: 

Die deutsche Kriegsmarine weigerte sich offensichtlich von vornherein, all ihre Reserven zu mobilisieren. So lag im deutschen Machtbereich 1940 eine ganze Reihe alter, meist außer Dienst gestellter Schiffe, deren Einsatz für »Seelöwe« nicht einmal erwogen wurde, und die erst später als schwimmende Flakbatterien wieder in Dienst kamen: In Norwegen wurden die beiden alten Küstenpanzerschiffe Harald Harfarge (1897) und Tordenskjöld (1897) erbeutet, die noch ihre Bewaffnung von 2x21cm und 6x12cm Geschützen trugen und trotz ihres Alters 1939 noch 14 kn liefen. In Holland fanden die deutschen Truppen die im flachen Wasser gesunkenen Küstenpanzerschiffe Vlieereede (ex Hartog Hendrik, 1902) und Ijmuiden (ex Jacob van Heemskerck, 1906) vor, die noch eine Bewaffnung von 1 bzw 2x24cm Geschützen besaßen. Die Schiffe wurden im Sommer bzw Herbst 1940 gehoben. In Dänemark lagen 1940 unter dän. Flagge die Küstenpanzerschiffe Niels Juel (1918) und Peder Skram (1910) mit einer Hauptbewaffnung von 10x15cm bzw. 2x24cm und 4x15cm Geschützen fahrbereit. Peder Skram kam 1939 sogar noch auf ihre Konstruktionsgeschwindigkeit von 15,9 kn, Niels Juel hatte 1936 bei ihrer Modernisierung sogar eine leistungsfähige Feuerleitanlage bekommen. Es besteht kein Zweifel, dass 1940 Deutschland bei Bedarf Dänemark zur Herausgabe dieser Schiffe hätte zwingen können.

Wäre die Verbesserung des Transportschutzes durch Seestreitkräfte der Kriegsmarine unter Aufbietung der genannten Reserven möglich gewesen? Es gibt gewichtige Einwände. Für die zusätzlichen Einheiten hätten Besatzungen bereitgestellt werden müssen, die zwar z.Tl. von den verloren gegangenen und den in Reparatur befindlichen Schiffen übernommen werden konnten, aber die »Einfahrzeiten« der neu in Dienst gestellten Kriegsschiffe war völlig unkalkulierbar. (So betrug die Einfahrzeit der am 24.8. in Dienst gestellten Bismarck mit vertrauten deutschen Anlagen insgesamt 8 Monate!) Außerdem lag die Stärke der aufgeführten Einheiten (noch) nicht in ihrer Flakbewaffnung. Ihre Umrüstung hätte wieder Monate in Anspruch genommen. Das Problem der Luftabwehr zugunsten der Transportflottillen blieb daher in der Tat unlösbar. Dieser Umstand vermittelte der Kriegsmarine letztlich das Gefühl ihrer Unterlegenheit.

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