Britische Abwehrmöglichkeiten
1. Nicht erst, als die deutschen Landungsvorbereitungen durch die Luftaufklärung im September 1940 erkennbar wurden, sondern bereits im Juni, als nach der Niederlage Frankreichs eine deutsche Invasion in den Bereich des Möglichen gerückt war, versuchten die brit. Streitkräfte, sich auf die Bedrohung einzustellen. Zu Hilfe kam ihnen dabei, dass der Enigma- Funkschlüssel der dt. Luftwaffe gebrochen worden war. Aufschluss über deutsche Absichten erbrachten z.B. die per Funk erlassene Anordnung, dass die Kais der britischen Häfen an der Südostküste Englands nicht mehr bombardiert werden sollten.
2. Da man sich auf die Stärke der britischen Flotte angesichts der schlagkräftigen deutschen Luftwaffe nicht verlassen wollte, begann in Großbritannien ein fieberhafter Ausbau der Kustenverteidigung, allerdings nicht nur im Raum Südost- englands, sondern an der gesamten Ostküste bis an die Grenze Schottlands. Bei Kriegsbeginn war die Küstenbatterie Dover mit 2x23,4cm und 6x15,2cm Geschützen bestückt. Bis September kamen 1x35,6cm und 2x15,2cm Rohre sowie 2x24,4cm Eisenbahngeschütze dazu. Weiterhin wurden 2x34,3cm Kanonen des außer Dienst gestellten Schlachtschiffes Iron Duke und 4x14cm Geschütze des Schlachtkreuzers Hood aufgestellt. Insgesamt wurden 153 neue Batterien in der 2. Jahreshälfte 1940 errichtet. Vorsorge getroffen wurde desweiteren zur Verminung der durch Funkaufklärung bekannt gewordenen Landungsabschnitte mit Beginn der Operation »Seelöwe«. Dazu standen Küstenstreitkräfte in ausreichender Anzahl zur Verfügung.
3. General Ironside, der ab Juni 1940 des Oberbefehl des brit. Heeres innehatte, war sich der Schwäche eines wenig in die Tiefe zu staffelnden Verteidigungssystems bewusst. Dabei wäre die Lage ohne die im Juni aus Dünkirchen entkommenen Expeditionsstreitkräfte wirklich verzweifelt gewesen. Doch in mehreren Geleitzügen wurden aus Kanada starke Truppenkontingente nach England verlegt. Mit den neuen Kontingenten schuf Ironside eine rückwärtige zweite Verteidigungslinie an. Sie verlief von Richmond in Nord-Yorkshire zur Humber-Mündung und von dort durch Cambridge zur Themse und bis nach Bristol. Am 20.7. übernahm General Brooke das Oberkommando. Seine Strategie stützte sich mehr auf die Mobilität der Truppen. Außerdem wurde die Verwendung von Giftgas für den Fall einer Invasion in Betracht gezogen. 1940 stand 1485 t Senfgas bereit, das von Flugzeugen aus eingesetzt werden sollte.
4. Am 20. September waren in den Heimatgewässern 3 Schlachtschiffe, 2 Schlachtkreuzer, 2 Flugzeugträger, 8 Schwere, 20 Leichte Kreuzer, 76 (!) Zerstörer und 39 Unterseeboote einsatzbereit. Davon lagen in den Kanalhäfen 1 Schlachtschiff, 8 Leichte Kreuzer und 36 Zerstörer. In Anbetracht der dt. Küstenartillerie wäre es für die RN allerdings schwer gewesen, im Kanal ihre schweren Schiffe zum Angriff zu bringen. Die RN wollte daher ihre schweren Einheiten nur einsetzen, wenn es die Kriegsmarine ebenfalls getan hätte. Für sie war also – selbst angesichts der vitalen Bedrohung Englands durch eine Invasion – der drohende Verlust von Prestigeschiffen nicht hinnehmbar, wenn nicht der Gegner das gleiche Risiko auf sich nahm. (Bei einem Ausbruch der Schweren Kreuzer der Kriegsmarine hätte die Royal Navy daher mit Sicherheit ihre schweren Einheiten in den Atlantik entsandt.) Die deutschen Angreifer mussten also an jeder Flanke des Übersetzraumes mit dem Auftritt von 3-5 Leichten Kreuzern und etwa 18 Zerstörern rechnen. Die Unterseeboote der RN hätten überdies wesentlich effektiver operiert als die dt. U-Boote 1944 gegen die alliierte Invasionsflotte, da die dt. U-Jagdausrüstung technisch schlechter war. Außerdem konnte die Navy problemlos weitere Einheiten in die Schlacht werfen, während die Verluste der deutschen Kriegsmarine nicht zu ersetzen waren.
5. Gegen die sich im September versammelnde Landungsflotte führte die Royal Air Force empfindliche Schläge aus. Bei Angriffen auf Antwerpen, Le Havre, Boulogne und Dünkirchen fielen bis zum 21.9. insgesamt 2 Torpedoboote, 12 Transporter, 51 Prähme und 4 Schlepper ganz oder für längere Zeit aus; 9 Transporter, 163 Prähme und 1 Schlepper wurden beschädigt. Diese Verluste konnten allerdings noch durch Reserven gedeckt werden. Größere Ausfälle hingegen hätten nicht mehr ersetzt werden können.
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