Württembergische Landesbibliothek: Swedenborg-Sammlung

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      Johannes Tennhardt (1661-1720)

      Der enthusiastische Neuoffenbarer und Empfänger göttlicher "Diktate", Johannes Tennhardt wurde geboren am 2. Januar 1661 in Dobergast (Sachsen) und starb am 12. September 1720 in Kassel. Der schon in seiner Jugend von visionären und auditionären Erlebnissen (Gesichte des Teufels, auch der Dreieinigkeit) geprägte Bauernsohn entsagte einer höheren Schulbildung mit dem Ziel, Pfarrer zu werden, und erlernte das Handwerk eines Perückenmachers, zunächst in Weißenfels, dann in Augsburg. In Nürnberg erhielt er 1688 das Bürgerrecht und verheiratete sich 1691 mit einer reichen Bürgerstochter, die allerdings nach der Geburt des dritten Kindes 1695 starb. In der Krise verstärkten sich die schon immer vorhandenen Selbstzweifel, so daß er zunächst das Herstellen von Männerperücken nach 1Kor 11, 4ff. verwarf, deshalb seinen Beruf aufgab und so der Armut verfiel. 1704 datiert er selbst sein Berufungserlebnis, nach dem er sich als "Kanzlist Gottes" zu "Diktaten" einer die Bibel ergänzenden Neuoffenbarung herausgefordert sah, wo er aber auch den Verfall der Kirche zu "Gesicht" bekam. Seit 1705 begann er, seine Eingebungen und Träume aufzuschreiben, meist in unrhythmischen, gereimten Versen. 1708 ersuchte er nach längerem Abwägen den Nürnberger Rat um Druckerlaubnis seiner Schriften. Seine deutliche Kritik nicht nur an der herrschenden orthodoxen Dogmatik in vielen Punkten (s. u.), sondern auch am Kirchenamt, veranlaßten den Rat der Stadt, ihn während der Wintermonate 1709/1710 im Wasserturm in Haft zu nehmen; ihn aber dann zu entlassen, nachdem er seine Behauptungen teilweise widerrufen hatte.
      Die mit Erscheinungsjahr 1710 in einem Sammelband von Freunden im Druck herausgegebenen Schriften umfassen neben einem von ihm geschriebenen "Lebenslauf" die ersten Eingebungen: u. a. "Wort Gottes oder Traktätlein an den sogenannten Geistlichen Stand", ferner "Worte Gottes und letzte Warnungs- und Erbarmungsstimme Jesu Christi". Druckorte waren weder Nürnberg, noch Frankfurt oder Leipzig, sondern vielleicht Idstein im Taunus. Das in Nürnberg aufrechterhaltene Druckverbot ließ Tennhardt zum Flüchtling werden. Er hielt sich in Frankfurt am Main auf, bereiste Brandenburg, Hamburg, Bremen, Braunschweig und Wolfenbüttel. Von den Inspirierten, z. B. von Johann Friedrich Rock (1678-1749) grenzte er sich ab, da er die Separation ablehnte und auch seine Offenbarung absolut verstand. Tennhardt starb am 12. September 1720 in Kassel.
      In dem Juristen Tobias Eisler (1683-1753 - Deutsches Biographisches Archiv, Mikrofiche Nr. 275, 355 ff.) hatte er einen Freund und Fürsprecher, der sogar seinetwegen sein Nürnberger Bürgerrecht aufgab und nach Helmstedt zog, wo er eine Armenschule für Mädchen gründete. Eisler verteidigte Tennhardt in mehreren Schriften und besorgte die Drucklegung einiger Werke bzw. von Auszügen. Ferner verwandte sich der württembergische Pfarrer Jakob Friedrich Golther (1677-1764) für ihn in dem anonymen Werk "Anonymi Alethophili Schriftmäßiges Iudicium Theologicum von Johann Tennhardts Bürgers in Nürnberg... 1711". Andererseits erwuchs ihm in dem Kirchenrat und Hofprediger von Solms-Braunfels, Johann Conrad Scheurer, ein scharfer Gegner, dem Tennhardt mit gleicher Polemik antwortete. Separatistisch- chiliastischen Bestrebungen auf Ulmer Gebiet im oberen Filstal, wo auch die Schriften Tennhardts und die des Frankfurter Schusters Johann Maximilian Daut (1656-1736) gelesen wurden, traten die beiden Ulmer Münsterprediger Johannes Frick (1670-1739) und David Allgöwer (1678-1737) entgegen. Tennhardts Lehre gründet sich auf die aus der Bibel abgeleitete und durch seine Visionen bestätigte Kirchen- und Gesellschaftskritik, die auch liturgische und weltliche Gebräuche mit einschloß. So bekämpfte er neben dem Predigtamt die Kindertaufe und die Sonntagsfeier. Er forderte hingegen die Rückkehr zur Sabbatruhe. Ferner verneinte er die leibliche Gegenwart Christi beim Abendmahl. Die Ablehnung der Rechtfertigung allein aus Glauben gründet sich auf den freien Willen des Menschen. Dieser ermöglicht auch durch anhaltende Askese eine Öffnung für das innere Wort Gottes, den Prozeß der Wiedergeburt.
      Tennhardt wird so, ohne daß es direkte Zusammenhänge gibt, in manchem zu einem Vorläufer von Emanuel Swedenborg. Der Swedenborgianer Ludwig Wilhelm Hofaker (1780-1840), Justizprokurator in Tübingen, sammelte und edierte mystische und visionäre Quellen vom Mittelalter bis in die Gegenwart, mit dem Ziel, Swedenborg als die Erfüllung dieses Prozesses aufzuzeigen. Tennhardt spielt dabei eine gewichtige Rolle. Die Banalitäten im Ausdruck erkennt Hofaker als "einer so entäußernd sich herniedergebenden Einfalt entflossen, . .." Tennhardt ist in dem seltsamen Werk "Elilytha" der Band 2 gewidmet. Ferner wurde Tennhardts Erbe, das dem Volkstümlichen entstammt und dorthin auch wirkte, gepflegt in der Separatistengruppe der sog. Creglinger, die im Umkreis von Creglingen und Rothenburg o. d. T. sich der Kirche völlig fern hielten. Charismatischer Führer war der Bäcker Paul Müller, der durch Askese bis zur Sündlosigkeit gekommen sei, wobei Tennhardts Schriften in der Edition von Hofaker eine wesentliche Rolle spielten. In manchen Zeiten neigte der Reutlingen Sozialreformer Gustav Werner (1809-1887) dazu, sich neben Swedenborg auch den Schriften Tennhardts zuzuwenden, war er doch durch Ludwig Hofaker zu Swedenborg bekehrt worden.
      Bibliographie in:
      Friedrich Braun: Joh. Tennhardt. München 1934 (s. u.). S. 1-13.

      Werke von Tennhardt (chronol.):
      Antwort auf die Puncten ... so aus meinen der Welt dargelegten Schrifften gezogen und mir, Johann Tennhardten, im Wasser-Thurm zu Nürnberg von denen Herren Predigern ... vorgehalten. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710; Gott allein, soll die Ehre seyn, welcher mir befohlen fein, zu schreiben durch seinen Geist allein, gantz wunderlich zwey Tractätelein, an alle Menschen insgemein, sie mögen Kayser, Könige Fürsten ... seyn ... benebst Johann Tennhardts Lebens-Lauff, aus welchem wird zu sehen seyn, wie lang mir der grosse Gott ... nachgegangen, ehe ich mich von Ihme habe ergreiffen lassen ... ja endlichen mir durch seinen Geist oder ewige Weisheit dictiret. Alles ... geschrieben in Nürnberg. [S.l.], 1710; Lebens-Lauff. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710; Lebens-Lauff Continuation und fernere Worte Gottes. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710; Tauler, Johannes: Göttlicher Extract, so auff Befehl des grossen Gottes ... Aus Doct. Johann Tauleri Schriften gezogen zu Nutz den armen Menschen ..., benebst andern herrlichen Lehren, Prüfungen des wahren Glaubens, der Liebe, Demuth ... [von Johann Tennhardt]. [S.l.], 1710. - 2. Aufl. 1711; Französisch 1712 in 4 ; Warnungen und Vermahnungen zur Buße oder Sinnesänderung. Aus Johann Tennhardts Schriften extrahiret. [S.l.], 1720. Darin: Extract aus Hn. Joh. Arnds wahren Christenthum; Worte Gottes oder letzte Warnungs- und Erbarmungs-Stimme Jesu Christi. Zum Lebens-Lauff gehörig. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710; Worte Gottes oder letzte Warnungs- und Erbarmungs-Stimme Jesu Christi. Zum Lebens-Lauff gehörig. [Erweiterte Fassung, selbständig erschienen. S.l.], 1710; Worte Gottes oder Tractätlein an den so genannten geistlichen Stand. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710. Auch in: Worte Gottes und Letzte Warnungs- und Erbarmungs-Stimme. 1711; Neudruck, hrsg. von Ludwig Hofaker: Tübingen, 1837; Zeugnisse vom innern und in Ewigkeit bleibenden, wahren ... Worte Gottes. In: Gott allein soll die Ehre sein. 1710; Worte Gottes und letzte Warnungs- und Erbarmungs-Stimme Jesu Christi. [S.l.], 1711; Kurtze doch gründliche Unterweisung von dem inneren Wort Gottes. Um der Einfältigen willen in Frag und Antwort gestellet von einem Liebhaber desselbigen. [S.l.], 1712; Kurtze, doch gründliche Unterweisung von dem inneren Wort Gottes. Um der Einfältigen willen in Frag und Antwort gestellet von einem Liebhaber desselbigen. Nun zum andern mal in Druck gegeben. [S.l.], 1713; Später als: Kurze und gründliche Unterweisung vom Innern Worte Gottes. In Frag' und Antwort gestellet. Bietigheim, 1891. (Sammlung neutheosophischer Schriften. No 50); Dass. u. d. T.: Unterweisung vom Innern Worte Gottes in Frag' und Antwort gestellt 1711. Stuttgart, 1900; Nothwendige und von Johann Conrad Scheurer ... Causirte Erklärung meiner Johann Tennhards auf Göttlichen Befehl herauß gegebenen Droh- und Warnungs-Schrifften, Worte Gottes genannt. [S.l.], 1713; Höchstnothwendige und zur Seelen Seligkeit sehr nützliche Erklärung etlicher Haupt-Puncten, so mir Johann Tennhardt aus meinen der Welt dargelegten göttlichen Droh- und Warnungsschriften und Lebens-Lauf zu erklären vorgelegt worden. [S.l.], 1715; Fernere nöthige zur Seelen Seligkeit sehr nützliche Zweyte Erklärung der allerbedencklichsten und anstössigsten Puncten und Redens-Arten. [S.l.], 1717; Nützliche und Höchst nothwendige Warnung wegen des unnöthigen separirens von Kirch und Abendmahl an die so genannten Separatisten und andern Erweckte Seelen ...[S.l.], 1718; Heilsame und der Zeit Höchstnothwendige Warnungen und Vermahnungen zur Busse oder Sinnesänderung, [S.l.], 1720; Drei erbauliche Briefe des seligen Johann Tennharts. [S.l.], 1730; Zweites Stück der Briefe des teuren und treuen Zeugens der Wahrheit Johann Tennharts, deren vier für dißmal alhier folgen. Zum Druck befördert von Tobias Eisler. ...[S.l.], 1730; [Vater Unser] Tennhardts Vater Unser. Oder: Wie's den Herrn jetzt um sein Gebet bedünkt. [Hrsg. von Ludwig Hofaker]. Tübingen, 1837; Schriften aus Gott. Durch Johannes Tennhardt, Bürger in Nürnberg. Nunmehr, da ihre Zeit sich erfüllt, unter Dolmetschung der göttlichen Wahrzeichen darinn wortgetreu wieder ausgegeben von Ludwig Hofaker. Tübingen, Leipzig, 1838. Bd.1.2. (Elilytha oder Halle der Gott-Gelehrten ; 2. Gabe); Neuaufl. Grüningen, Männedorf, 1894-1895; Drei Rufe Gottes an sein Volk Israel. Johannes Tennhardt's Schriften aus Gott entnommen von L. Chandani [d. i. Ludwig Hofaker]. Tübingen, Leipzig, 1839.

      Apologetische Schriften, oft unter Verwendung von Auszügen aus Tennhardts Werken:
      [Golther, Jakob Friedrich]: I. n. J. Anonymi Alethophili Schrifftmäßiges Iudicium Theologicum von Johann Tennhards Burgers in Nürnberg an alle Hohe und Niedere Potentien im Römischen Reich Gesandtem sonderbahrem Buche [S.l.], 1711; Herrn Johann Conrad Scheurers ... irrige Lehr-Sätze, welche er in Widerlegung Johann Tennhards von Nürnberg an den Tag gegeben ... extrahirt von einem Lutherisch Gebohrnen ... [S.l.], 1713; Gratulations-Schreiben An Herrn Joh. Tennhardt wegen Herrn Johann Conrad Scheurers ... Uebereinstimmung mit ihm und seiner Lehre. [S.l.], 1713; Schrifftmäßiges Zeugnuß vom Innern und Aeussern Worte Gottes, wie nemlich Alles nach der Natur und Gnade ... von Innen herauß komme ... [S.l.], 1713; Kurtze Anmerkungen ueber Johann Conrad Scheurers ... Antwort-Schreiben, auff Zwey von Joh. Tennhardt an denselben abgelassene Briefe ... heraußgegeben von einem Auffrichtig-Gesinnten. [S.l.], 1713; Eisler, Tobias: Das durch Türken und Heyden beschämte heutige Christentum. Oder merkwürdiger Extract aus verschiedenen bisher publicirten Nachrichten von derer Heyden und Türken Lehr und Leben. [S.l.], 1720; Eisler, Tobias: Unterschied zwischen der innerlichen lebendigen und aeuserlichen buchstäblichen Erkäntniß Jesu Christi. [S.l.], 1720; Eisler, Tobias: Apologia Tennhartiana. Oder: Kurzgefaßte Beantwortung der wider die Tennhartische Schriften gemachten Scrupel ... ans Licht gegeben von ... [S.l.], 1724; Eisler, Tobias: Christliches Ehren- und Liebesdenkmal, welches als der durch seine sonderbare und erbauliche Warnungs- und Wahrheitsschriften ... bekant gewordene ... Johann Tennhart ... den 12. Septembris ...1720 ... sanft verschieden ... stiften und aufrichten wollte .... [S. l.], 1724; Monumentum Tennhartianis Manibus sacrum interprete H. B. R. Consil. R. S. E. W. [Nach 1720]; Eisler, Tobias: Nachdenkliche und in der Wahrheit vest-gegründete Zeugnisse vom Innern Wort Gottes ... öffentlich dargelegt von ... [S.l., s.a.]; Eisler, Tobias: Allgemeine und derzeit höchstnothwendige Seelen-Cur ... zum Druck befördert von ... [S.l.], 1721. Zum andern mal gedruckt im Jahr Christi 1728; Eisler, Tobias: Kurzgefaßtes Bedenken von der sogenannten Separation oder Absonderung von Kirch, Beicht und Abendmahl nach dem Grunde göttlichen Worts abgefasset ... durch den Druck öffendlich in Liebe dargelegt von ... [S.l.], 1730; Albrecht, Johann Benjamin: Kurzgefaßter Lebenslauf des teuren und treuen Zeugens der Wahrheit Johann Tennharts, in gebundener Rede entworfen ... [S.l.], 1730; Eisler, Tobias: Obrigkeitlich-geforderte Verantwortung. Das ist: Funfzehen Fragen, welche den 15. Febr. 1729. von dem Hochfürstlichen Consistorio zu Wolfenbüttel mir, ... zu beantworten mitgegeben worden, nebst derselben Beantwortung. Helmstädt, 1742.

      Polemische Schriften gegen Tennhardt:
      Einfältige und aufrichtige Gedanken über des neuen von sich selbst entstandenen Profeten Johann Tennharts Schriften, aufgesetzet für und auf begehren eines unstudierten, aber in der H. Schrift geübten, Gottliebenden Freundes in der Schweiz. Frankfurt, 1712; Scheurer, Johann Conrad: Entlarffter Heuchler in einer Schrifttmässigen Untersuchung und Wiederlegung des ohnlängst entstandenen Nürnbergischen Lügen Propheten Joh. Tennhardts Traum, Ketzer, und Läster-Schrifften ... entblösset und beschämet von ... Wetzlar, 1712; Johann Frick und David Al[l]göwer: Die durch Gottes Gnade wieder-erlangte Herstellung deß Kirchen-Friedens in etlichen Landgemeinden Ulmischen Gebietes. In einem kurtzen historischen Vorbericht angezeiget und in ausserordentlich gehaltenen Zweyen Predigten ... abgehandelt von ... Ulm, 1713; Scheurer, Johann Conrad: Antworts-Schreiben auff zwey von Joh. Tenhardt, Pilgrim, an mich Ends Unterschriebenen ... wegen meiner gegen ihn heraußgegebenen Wiederlegungs Schrifft Entlarffter Heuchler genannt, abgelassenen Brieffe ... Wetzlar, 1713; Entdeckter Atheismus aus der bekannten Lehre von der Wiederbringung aller Dinge usw. Samt beigefügter Refutation der 16 Lehrsätze, so Tennhart aus D. [Johann Wilhelm] Petersens hiervon handelnden großen Buch extrahiret, durch C. F. G. T. J. E. [S. l.], 1714.

      Literatur:
      Zedler, 42, 868-891; Deutsches Biographisches Archiv, Mikrofiche 1260, 135-169; Friedrich Braun: Joh. Tennhardt. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus. München, 1934. (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns. Bd. 17).