Entwicklung neuer U-Boottypen

Bereits im Frühjahr 1942 hat Dönitz in einer Denkschrift vor den rapide steigenden Erfolgen des Gegners bei der U-Bootbekämpfung gewarnt und gefordert: „Wir müssen mit einem totalen U-Boot-Typ ins Wasser hinein; die Arbeiten an den Walter-U-Booten müssen beschleunigt werden; darüber hinaus ist zu prüfen, ob die Entwicklung des totalen U-Bootes nicht auch auf anderem Wege möglich ist." Bereits im Jahr 1933 hatte der noch unbekannte Schiffbauingenieur und spätere Professor Helmuth Walter einen detaillierten Vorschlag für ein US-Boot (Untersee-Schnellboot) beim Reichsmarineamt eingereicht. Im Sommer 1942 ist es soweit, daß vom OKM die Bauaufträge für je zwei Versuchsboote vom 250 t großen Typ XVII-Entwurf erteilt werden. Diesem folgt die Bestellung von je zwölf Booten des verbesserten Typs XVII G und XVII B bei der Germaniawerft und bei Blohm & Voss, eine Serie, die sofort begonnen werden soll, sobald praktische Erfahrungen mit der Walter-Anlage vorliegen. Die ersten Versuche damit beginnen im Mai 1943; der Bau der Boote kommt jedoch, da keine Dringlichkeitsstufe vorliegt, nur langsam voran. Neben den kleinen Walter-U-Boot-Typen steht auf Drängen von Dönitz auch ein größeres Walter-Boot (Projekt Pr.476) an: der 1485/1652 t große Typ XVIII, dessen Linien von der eleganten Form des Typs XVII (Wa 201) abgeleitet worden sind. Nach Vorlage der Konstruktionsunterlagen im November 1942 verlangt Dönitz das Anlaufen einer Großserie dieser U-Schiffe. Aber der sonst so optimistische Walter zögert. Er will erst zwei große Boote einer Nullserie, und er will die Erprobungsergebnisse der Boote vom Typ XVII abwarten. Auch die Produktion von Wasserstoffperoxyd (H2O2) muß erst beginnen. Es bleibt daher bei der Nullserie.

Doch urplötzlich, quasi über Nacht, geht die Entwicklung einen völlig anderen Weg, über den noch im April, also noch vor dem Krisenmonat Mai 1943 entschieden wird. Bereits im Februar 1943 ist im K (Konstruktions)-Amt der Marine der Gedanke aufgetaucht, den für die zusätzliche Walter-Anlage beanspruchten Raum im großen U-Boot des Typs XVIII für eine dreifache Batteriekapazität nutzbar zu machen: „Wenn schon ein so großes Boot, dann kann man auch mit konventionellen Antriebsmitteln sehr viel mehr erreichen als bisher." Mitte April wird bereits der ausgereifte Gegenentwurf zum Walter-U-Boot-Typ XVIII als Elektroboot vom Typ XXI Dönitz vorgelegt. Er ist auf jeden Fall problemloser als die mit dem hochempfindlichen Perhydrol arbeitende Walter-Anlage, obwohl man unter Wasser auch keine 26 kn für etwa fünf bis sechs Stunden Angriffs-AK-Fahrt erwarten darf. Immerhin werden bei voll aufgeladenen Batterien unter Wasser 18 kn für anderthalb Stunden oder 12 bis 14 kn für zehn Stunden möglich sein. Ein solches U-Boot, auf dem man mit Hilfe einer hydraulischen Schnelladevorrichtung in 20 Minuten 18 Torpedos abfeuern will, wird allen Typen mit dieselelektrischem Antrieb überlegen sein. Trotz seiner Größe von 1621/2100 t soll der neue Typ auch im Geleitzugkampf im Nordatlantik eingesetzt werden.

Dönitz entscheidet sich für eine sofortige Fertigkonstruktion in großen Serien. Man ist sich der Vorzüge des neuen Typs so sicher, daß nicht einmal eine Nullserie aufgelegt wird. Ähnlich entwickeln die Dinge auch bei dem kleinen Walter-U-Boot, für das die Herren im K-Amt ebenfalls einen Gegenentwurf parat haben: das kleine Elektroboot vom Typ XXIII. Für eine sorgfältige Weiterentwicklung verschiedener neuer Technologien bleibt im Frühjahr 1943 keine Zeit mehr. Es ist fünf Minuten vor zwölf.

Die neuen Elektroboote vom Typ XXI lassen hoffen, daß die Geleitzugschlachten im Nordatlantik wieder aufbrennen werden. Die ersten 170 Boote werden im November 1943 in Auftrag gegeben, aber die Konstruktions- und Fertigungszeichnungen liegen erst im Dezember 1943 vor. Der Bau wird weitgehend rationalisiert. Er erfolgt in drei Ebenen: l. Der Rohsektionsbau obliegt den Stahlwerken an der Küste und im Binnenland; 2. erfahrene U-Bootwerften übernehmen die maschinen- und schiffstechnischen Einbauten in die Sektionen, und 3. der Montagebau der Schübe wird auf leistungsfähigen Großwerften im Taktverfahren gemacht. Je Boot vom Typ XXI sind neun Sektionen und beim Typ XXIII vier Sektionen vorgesehen. Bauvorhaben an konventionellen Typen werden gestoppt, auch an den Walter-U-Booten bis auf die Versuchstypen und die zwölf Boote vom Typ XVII B und G.

Zwei der Walter-Versuchsboote, U 792 von Blohm & Voss und U 794 von der Germaniawerft, können im November 1943 in Dienst gestellt werden. Nach Überwindung einiger Kinderkrankheiten wird U 792 auf der Meßmeile erprobt. Kapitän zur See Sachs, Chef des UAK, fühlt sich veralbert, denn der vom Bootskommando behauptete Unterwasserdurchgang von 24 kn kann mit den herkömmlichen Mitteln nicht gemessen werden. Erst quer zur Meßmeile gelegte elektrische Kabel bestätigen induktiv, was die Verantwortlichen im Boot behaupten. Und es bleibt nicht nur beim Wunder der schnellbootähnlichen Unterwasserfahrt: Das Boot ist auch mit dem Gruppenhorchgerät (GHG) nicht zu orten gewesen. Also wird auch das gegnerische Asdic keine Ortung erbringen. Diese Erkenntnis ist eine noch größere Sensation. Im März 1944 klettert Dönitz mit gleich vier Admiralen an Bord von U 794. Nach der Fahrt drückt er dem Probefahrt-Ingenieur, Kapitänleutnant (Ing.) Heller, lange die Hand: „Das hätten wir bei mehr Vertrauen und Wagemut schon ein bis zwei Jahre früher haben können. Das Boot ist eine echte Revolution." Der Bau an den Walter-Booten wird neben den Großserien der Typen XXI und XIII wieder aufgenommen. Vom mittleren Typ XXVI W werden bei Blohm & Voss die Boote U 4501 bis 4600 und bei der Deutschen Werft, Hamburg, die Boote U 4601 bis 4700 vergeben.

Aber jetzt ist es zu spät. Im Juni 1944 fassen die Alliierten Fuß in Frankreich. Zu diesem Zeitpunkt ist der Seekrieg entschieden.

Ausklang der U-Boot-Entwicklung

Mit 426 U-Booten – stärker denn je – beginnt das Jahr 1945; doch nur 117 Boote sind frontbereit. 128 der bei den Schulflottillen stehenden Boote sind von den Typen XXI und XXIII, von denen 144 weitere noch im Bau sind. 245 Elektroboote sollen zum Jahresbeginn fertiggestellt sein. Knapp die Hälfte des Solls wird erreicht. Nicht ein einziges der Boote kommt bis dahin an die Front – Folge der alliierten Bombenangriffe auf deutsche Hafenstädte und Werften. Die neue Waffe, die großen Elektro-U-Boote, bekommen die Alliierten (einige erfolgreiche Operationen mit kriegsbereiten Booten vom kleinen Typ XXIII ausgenommen) nicht mehr zu spüren. Nur eines der mit so viel Hoffnungen und Zuversicht erwarteten Boote vom Typ XXI läuft vor der Kapitulation noch zur Feindfahrt aus: U 2511. Unter Korvettenkapitän A. Schnee sichtet es einen britischen Kreuzer und setzt vermöge seiner hohen Unterwassergeschwindigkeit unbemerkt zu einem Scheinangriff vor. Doch wenige Stunden vorher hat Dönitz Waffenruhe befohlen. Der Torpedo, der den Beweis für die Qualifikation der XXIer erbracht hätte, bleibt im Rohr.

Versenkte Walter-Versuchs-U-Boote werden gehoben. In die fertigen Boote vom Typ XVII B teilen sich Briten und Amerikaner. U 1406 bringt man auf dem US-Transporter „Shoemaker" in die USA; U 1407 wird von der Royal Navy unter dem beziehungsreichen Namen „Meteorite" in Dienst gestellt. Zwei kleinere Elektro-U-Boote vom XXIIIer Typ erhält später die Bundesmarine als ,,Hai' und „Hecht". Das aufkommende Atom-U-Boot erübrigt schließlich die vielversprechende Entwicklung der Walter-U-Boote zum Untersee-Schnellboot.