BLETCHLEY PARK

DIE AUFGABEN DES BRITISCHEN ENTZIFFERUNFSDIENSTES
In England bestand ein Entzifferungsdienst bereits im Ersten Weltkrieg. Aus dem legendären "Room 40" ging in der Ära zwischen den Kriegen die "Government Code and Cipher School" (GC&CS) hervor.

Bei Kriegsausbruch 1939 verlegte die "Government Code and Cipher School" ihren Sitz aus dem Londoner Hauptquartier des Secret (Intelligence) Service in den ca 80 km nördlich von London liegenden Außenbezirk eines kleinen Städtchens in der Grafschaft Buckinghamshire, genannt Bletchley Park (B.P.). Der herrschaftliche Landsitz mit ausgedehntem Park bot viel Platz für den Bau von Baracken ("huts") zur Unterbringung zahlreicher Abteilungen und Sonderdienste.

In Führung und Personal des britischen Entzifferungsdienstes arbeiteten viele Veteranen aus dem berühmten "Room 40" des ersten Weltkrieges, dazu gehörte auch der Direktor Alaister Denniston. Aber darüber hinaus wurde bei Kriegsbeginn auch eine Einheit hochkarätiger junger Akademiker von den Universitäten Oxford und Cambridge einberufen und zwischen der Dechiffrierabteilung und den Spezialeinheiten ("Special Liaison Units") von Heer, Luftwaffe und Kriegsmarine aufgeteilt. Unter den ersten Einberufenen waren Gordon Welchman, Alan Touring und John Jeffreys, drei brilliante Mathematiker aus Cambridge. Sie bekamen unterschiedliche Aufgabengebiete zugewiesen. Alan Touring sollte eine "Bomba" entwickeln, die universell für unterschiedliche Schlüsselkreise anwendbar und leistungsstärker sein sollte als die polnische. John Jeffreys war für die Herstellung der erforderlichen Lochkarten verantwortlich. Gordon Welchman sollte die verschiedenen Schlüsselkreise der Enigma identifizieren sowie deren Codes und Zeichen, half aber auch entscheidend mit bei der Entwicklung der "Bomba".

Bereits im Dezember 1940 hatten Jeffreys und sein Helfer zwei Sätze mit Lochkartenstreifen fertiggestellt. Ein Satz wurde an die französ. und polnischen Spezialisten in "Vignolles" geschickt. Er ermöglichte ihnen, für einen Tag in dem von den Alliierten "Green" genannten Schlüsselbereich des deutschen Heeres einzubrechen. Mit dem zweiten Satz konnen die Kryptanalytiker in B.P. am 6. Januar 1940 in den von ihnen "Red" genannten Operationsschlüssel der deutschen Luftwaffe einbrechen. Am 15.4.1940, während der Kämpfe in Norwegen, brach B.P. in den neu eingeführten Enigma-Schlüssel "Yellow" ein, der speziell zur Kommunikation zwischen Heer und Luftwaffe benutzt wurde und viel operativ-taktisches Material enthielt. Bis zum Auslaufen dieses Schlüssels konnten zwar immerhin 27 von 52 Tagesschlüsseln gelöst und 768 Funksprüche entziffert werden, doch scheiterte die Nutzung am fehlendem Verständnis unzähliger deutscher Kurzsignale und unverständlicher Angaben.

Im Mai 1940 war die erste in B.P. entwickelte "Bombe" einsatzbereit. Da die größte Zahl von Funkspüchen im Luftwaffen-Schlüsselbereich "Red" anfiel, wurde die Turing-Maschine auf ihn angesetzt. Am 22. Mai 1940 gelang es mit Hilfe der "Bomba" in einen neuen, erst zwei Tage alten Red-Schlüssel einzubrechen. Von diesem Tag an erfolgte die Entzifferung fast regelmäßig, und bis zum Ende des Krieges wurden die Verzögerungen immer geringer.

Keinerlei Fortschritte wurde bei der Durchdringung des Funkverkehrs bei der deutschen Kriegsmarine erzielt. Da die KM acht Walzen verwendete, war die Lochstreifen-Methode zu aufwendig. Erst als man mit einem Kommando-Vorstoß gegen die Lofoten im Mai 1941 die fehlenden Schlüsselwalzen und das Kurzsignalbuch 1941 erbeuten konnte, gelang B.P. der Einbruch in den wichtigen Schlüsselkreis "Heimische Gewässer".

An dieser Stelle soll aber nicht die Chronik der weiteren Fortschritte und Rückschläge zusammengefasst werden, sondern ein Eindruck von der Arbeits- weise und den Leistungen in Bletchley Park vermittelt werden.

DIE ARBEITSWEISE IN BLETCHLEY PARK
Im allgemeinen besteht der Eindruck, dass es sich bei Kryptologen um geniale Sonderlinge handelt, die in einer Art Elfenbeinturm ihrer eigensinnigen Beschäftigung nachgehen. Aber man sollte sich B.P. eher wie ein Pressezentrum oder als Informations-Servicezentrum vorstellen, bei dem eine Vielzahl von Informationen eingeht und sortiert, aufbereitet und verteilt werden muss. Auch hier besteht Notwendigkeit, die Masse an Fakten zu sondieren und wohl dosiert abzugeben. "Es war einfach unabdingsbar, dass von den vielen außergewöhnlich intelligenten und fähigen Leuten zumindest einige in der Lage waren, die Flut von Informationen, deren Ausmaß alle überraschte, in geordnete Kanäle zu lenken."

Am Anfang des Krieges war das gewaltige Ausmaß der Informationsflut noch gar nicht abzusehen. Der Dechiffrierdienst, der in "Hütte 6" untergebracht war, bildete nur einen kleinen Kern von intellektuellen "Codeknackern". Darum herum gruppierten sich zahllose Gruppen von Mitarbeitern, die verschiedenen Funkverkehrsgruppen oder Schlüsselkreisen zugeordnet waren und laufend den Funkverkehr abfingen und aufzeichneten. Darüber hinaus gab es die Übersetzer, die alle abgefangenen Funksprüche ins Englische übertrugen. Und dann mußten die übersetzten Funksprüche bekannten Ereignissen und erwarteten Aktionen zugeordnet und ausgewertet werden. Diese Arbeit erledigten in der Regel die SLU, die die Hintergründe und Fakten eruierten und die ausgewerteten Funksprüche zu einem mosaikartigen Lagebild zusammentrugen konnten, das allerdings niemals lückenlos war. Allerdings war das Vorgehen nicht ganz einheitlich geregelt. Während "Hütte 4" (Marine) der Admiralität die Originaltexte, nur ins Englische übersetzt, übermittelte (erst im OIC wurden sie ausgewertet), gab "Hütte 3" (Luftwaffe/Heer) Zusammenfassungen des wesentlichen Inhalts, ggf. mit einem entsprechend gekennzeichneten Kommentar an die operativen Führungsstäbe weiter. Für die Zeit vom 15 Juni 1941 bis 5 Januar 1945 finden sich im PRO 324.000 entzifferte Funksprüche. Das bedeutet durchschnittlich 11 Sprüche pro Stunde, 24 Stunden am Tag, 42 Monate lang. Die Mitarbeiterzahl in den verschiedenen Baracken war nicht einheitlich, in "Hütte 3" belief sich die Anzahl auf weniger als 200. Sie setzte sich zusammen aus Übersetzern, den Verwaltern der Kartei und den Fernschreibern, die mit London Kontakt hielten. Der Women's Royal Naval Service (WRNS), weiblicher Hilfsdienst der Marine, übernahm die Schreibarbeit und die Bedienung der Geräte und kryptologischen Hilfsmittel.

ALLIIERTE ZUSAMMENARBEIT
Zum Abschluss sollten noch ein paar Bemerkungen angefügt werden über das Verhältnis zum amerikanischen Bündnispartner, das nicht so ungetrübt war, wie es uns der Begriff der "Alliierten" suggeriert. Die Amerikaner hatten ursprünglich den Plan, bereits ab April 1941 die Sicherung der Geleitzüge auf der Kanada-Island Etappe zu übernehmen, um den britschen Inseln beizustehen. Dazu erwünschten sie sich allerdings die Teilhabe an allen verfügbaren Informationen über deutsche und italienische Marineoperationen im Atlantik. Bereits im Dezember 1940 hatten sich hohe Zivilbeamte der brit. und amerik. Regierung schriftlich darauf geeinigt, das Wissen über Dechiffriertechniken und gewonnene Informationen auszutauschen. Aber die strenge Anordnung des "Official Secret Acts", die jeder in B.P. Beschäftigte unterzeichnet hatte und die jeden einzelnen zu strengster Verschwiegenheit verpflichtete, stand einem freien Gedankenaustausch natürlich im Wege. Das gegenseitige Misstrauen war auch nicht unbegründet. Vor allem aber fürchten die Engländer, dass ihnen die Amerikaner die Erfolge der Dechefrriertechnik abnehmen könnte, sobald das erforderliche know-how übermittelt war, da sie die Ressourcen der riesigen Elektronik- und Rechenmaschinenindustrie ins Spiel bringen konnten.

In der Tat waren die Amerikaner vielfach der Ansicht, dass es besser wäre, wenn sie die Nachrichtendienste kontrollierten, da B.P. durch Luftangriffe ungleich stärker gefährdet war als irgendein Ort in den USA. Im Januar 1941 besuchte eine Abordnung amerikanischer Kryptologen B.P. Die Amerikaner hielten sich ungefähr 5 Wochen in England auf. Sicher ist, dass die Engländer aus dem Besuch gewaltige Vorteile zogen, während die Amerikaner enttäuscht nach Hause fuhren. Aber klar ist auch, dass die Engländer zu diesem Termin noch gar keine Erfolge bei der Decodierung des deutschen Marine-Funkschlüssels hatten. Das eigenbrödlerische Verhältnis änderte sich aber auch nicht im Mai 1941, nach dem erfolgreichen Vorstoß gegen die Lofoten und die Erbeutung wichtiger Schlüsselunterlagen, und auch nicht im Februar 1942, als die Engländer den gerade errungenen Erfolg beim Einbruch in den Triton-Schlüssel mit Einführung der 4-walzigen Enigma (Schlüssel M) wieder verloren Stattdessen bekamen die USA mit der Operation Paukenschlag den U-Boot-Krieg vor die eigene Haustür.

Im Sommer 1942 willigten die Briten ein, dass zwei Offiziere der USN der "Hut 8" (Marinenachrichten) zugeteiklt wurden. Zwar zeigten sich die Kryptologen in B.P. aufgeschlossen und kooperationsbereit, aber ihnen fehlten eine Vier-Walzen-Bomba, und die Kurzsignalbücher wie auch Informationen über die Tagesschlüssel. "Im Laufe der Monate wurde aus den eingehenden Berichten unserer Abgesandten in England immer deutlicher, daß die Engländer nicht in der Lage waren, uns eine Maschine [Bombe] zu liefern. ... Deshalb kamen wir zu dem Ergebnis, dass der Start eines eigenen Entwicklungsprograms gerechtfertigt erschien". Anfang September 1942 erklärte Joseph Wenger, Chef der Entzifferungsabteilung OP20G,. dass die USN nunmehr auf eigene Faust am Bau einer vierwalzigen Hochgeschwindigkeit-Bombe arbeiten würde. Mit dem Bau wurde die NCR beauftragt, in deren Diensten Joseph Desch arbeitete.

Im Dezember 1942 gelang den Briten erneut der Einbruch in den Schlüsselkreis "Triton". Auch Bletchley Park entwickelte im Laufe des Jahres 1943 zwei High-speed-bombs, aber diese Kapazität war für eine effektive Aufklärungsroutine lange nicht ausreichend. Ab Oktober 1943 an waren die Kryptologen der US Navy allein zuständig für das Entziffern der U-Boot-Funksprüche. Ihre Ergebnisse wurden per Fernschreiber am B.P. und den Submarine Tracking Room (Commander Rodger Winn) in London übermittelt. B.P. widmete sich stattdessen verstärkt dem Funkverkehr von Heer und Luftwaffen sowie der Aufgabe, in weitere Schlüsselkreise der deutschen Funktelegraphie einzubrechen (z.B. HERMES, POSEIDON, POTSDAM, siehe key-codes).

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