GRIFF NACH DEM LEBENSRAUM DER OSTEUROPÄISCHEN VÖLKER

 

22. Juni 1941: Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: "Seit den frühen Morgenstunden ist es an der sowjetrussischen Grenze zu Kampfhandlungen gekommen." 

Dies war das Ende des Hitler-/ Stalinpaktes vom August 1939. Hitler wollte nicht nur einem drohenden Zweifrontenkrieg zuvorkommen, in dem er selbst das Heft des Handelns in der Hand behielt. Viel mehr handelte es sich um einen Kampf zur Eroberung neuen "Lebensraums", der auf die dort lebende Bevölkerung keine Rücksicht nahm, obwohl diese den Einmarsch der deutschen Wehrmacht teilweise sogar als eine Befreiung von der stalinistischen Diktatur begrüßte. Aber nur für kurze Zeit.

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"IM OSTEN IST HÄRTE MILD FÜR DIE ZUKUNFT"

Die gnadenlose Politik, die die Führer der SS gegenüber den besiegten slawischen Völkern verfolgten, basiert auf dem nationalsozialistischen Rassismus. (...) In einer Denkschrift des "Rassenpolitischen Hauptamtes" vom 25. November 1939, heißt es: "Das Ziel der deutschen Politik in den neuen Reichsgebieten muß die Schaffung einer rassisch und damit geistig-seelisch wie völkisch-politisch einheitlichen deutschen Bevölkerung sein. Hieraus ergibt sich, dass alle nicht eindeutschbaren Elemente rücksichtslos beseitigt werden müssen." 

Die Nationalsozialisten teilten die Menschheit in drei Kategorien: 
Die "arische Herrenrasse", der sie selbst angehörten, das jüdische Volk in der Diaspora, das als "Parasiten" gebrandmarkt wurde und ausgerottet werden sollte, und die niederen osteuropäischen Völker, die als nicht arisierbar galten und in das Generalgouvernement abgeschoben wurden. Dieses Gebiet galt als ein Reservat für die aus allen besetzten Ländern Osteuropas deportierten Menschen und als ein Arbeitskräftereservoir für das Reich.

Politisches Selbstbewußtsein und eine eigene Interessenvertretung wurde den unterworfenen Völkern untersagt. Durch einen am 13. Mai 1942 ergangenen Führererlaß wurde jede ordentliche Gerichtsbarkeit in den besetzten Ländern des Ostens kurzerhand verboten. Jeder Offizier war berechtigt, "tatverdächtige Elemente" erschießen zu lassen und jeder Kommandeur durfte "kollektive Gewaltmaßnahmen verhängen. Genau wie in Polen wurde damit die Grundlage für die Massenliquidierung von politisch unerwünschten Menschen geschaffen. "Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf". 

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Dem vordringenden deutschen Heer folgten bald die Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes, die nicht an Recht und Gesetz gebunden waren,  sondern tun und lassen konnten, was sie wollten. Die besiegten Länder  durften keine eigene Intelligenz- und politische Führungsschicht behalten. Vielmehr sollte der neue Lebensraum so gestaltet werden, "dass wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können."  Göring dazu vor Reichskommissaren und Militärbefehlshabern:  "Früher nannte man das 'plündern'. Nun, die Formen sind allgemein humaner geworden. Ich gedenke trotzdem zu plündern, und zwar ausgiebig. ... Sie werden da weiß Gott nicht hingeschickt, um für das Wohl und Wehe der Ihnen anvertrauten Völker zu sorgen, sondern um das Äußerste herauszuholen,  damit das deutsche Volk leben kann." 

DIE ZEIT DER WENDE: VERBRANNTE ERDE 

Mit der Niederlage von Stalingrad und dem Partisanenkrieg im Rücken der deutschen Front, der die Nachrichtenverbindungen und Nachschublinien der deutschen Wehrmacht erfolgreich zu stören vermochte, kam im Osten die Wende. Begünstigt wurden die Aktionen der Partisanen durch die unendlichen langen deutschen Versorgungswege, die harten russischen Winter, die langen Regen- und Schlammperioden im Frühjahr und im Herbst und durch Ihre gute Kenntnis des Geländes. ...

Das Kräfteverhältnis beider Gegner hatte sich inzwischen ebenfalls verschoben, denn seit Herbst 1942 war die sowjetische Rüstungsproduktion gewaltig angestiegen. Hinzu kam die Unterstützung durch die USA im Rahmen des Leih- und Pachtvertrages vom 22. Juni 1941. In den darauf folgenden Jahren erhielt die UdSSR u.a. 13.300 Panzer, 425.000 Lastkraftwagen, 2,8 Mio Tonnen Stahl, 4,4 Mio. Tonnen Lebensmittel. ...

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Nun war es die Rote Armee, die den Gegner vor sich hertrieb. Wie bisher untersagte Hitler prinzipiell die Räumung deutscher Stellungen, sei es auch, um taktisch weniger wertvoller Stellungen aufzugeben und die begrenzte Anzahl deutscher Soldaten an wichtigen Stützpunkten zu verstärken. Wo immer aber die Wehrmacht geschlagen wurde, sollte "kein Mensch, kein Vieh, kein Zentner Getreide, keine Eisenbahnschiene zurückbleiben". Himmler forderte, beim Gegner dürfe kein Haus stehenbleiben und kein Brunnen mehr existieren, dessen Wasser nicht vergiftet sei. Der Gegner dürfte nichts vorfinden, als ein total verbranntes und zerstörtes Land.

Nach sowjet. Quellen gab es allein im 252. Gardeschützenregiment der 83. Gardeschützendivision der 11. Gardearmee "158 Soldaten und Offiziere, deren Familienangehörige von den Faschisten gequält und ermordet worden waren, 56 Soldaten, deren Familien nach Deutschland verschleppt, 162 Soldaten, deren Angehörige obdachlos gemacht waren und 293 Soldaten, deren Familie der häuslichen Habe und des Viehs beraubt worden waren." 

Welche Verbitterung mußte die russischen Soldaten ankommen, als sie nach Jahren des Leids und der Entbehrungen die "heile Welt" der deutschen Bevölkerung in Ostpreußen erblickten, auf weitgehend unzerstörte Dörfer und Städte trafen, in denen das "normale" Leben weiterlief. Und welcher Zorn musste sie erfassen angesichts des Elends bei der Befreiung der Konzentrationslager. "Zorn und Hass glühten in den Herzen der Soldaten, als sie die ehemaligen faschistischen Todeslager in Litauen, Ostpreußen und Polen betraten oder Berichte von Sowjetmenschen hörten, die der faschistischen Sklaverei entronnen waren." 

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Geschickt nutzte die sowjetische Führung die Verzweiflung ihrer Landsleute über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus. Über die Politischen Kommissare wurden Zorn und Entsetzen der Soldaten bewußt in brutale Wut gegen die faschistischen "Herrenmenschen" gewendet. (71) Wie wir heute aus Tagesbefehlen und Flugblättern wissen, ist die Kampfmoral der Soldaten zusätzlich mit dem Versprechen auf Beute, Frauen und Alkohol angefacht worden.

STUNDE DER VERGELTUNG 

Als die siegreichen sowjetischen Truppen und die sie begleitenden polnischen Verbände auf die ostdeutsche Zivilbevölkerung trafen, kam es zu Ausschreitungen, die für die davon betroffenen Menschen alles bis dahin Erlebte in den Schatten stellten. Raub, Plünderung, Brandstiftungen, Mißhandlungen, massenhafte Vergewaltigung von Frauen und Mädchen und die willkürliche Tötung von Unschuldigen sind in einem solchen Ausmaß begangen worden, daß in der Erinnerung vieler Flüchtlinge und Vertriebener diese Ereignisse das einzig Prägende der Schicksalsjahre 1944/1945 geblieben sind.