Württembergische Landesbibliothek: Swedenborg-Sammlung

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      Emanuel Swedenborg (1688-1772)
      eine Einführung

      Am 29. März 1772, starb in London der außergewöhnliche schwedische Adelige Emanuel Swedenborg. Und wunderlich eher erscheint den meisten Swedenborgs Leben und seine schier unermeßliche schriftliche Hinterlassenschaft von etwa 20000 Buchseiten. Für wunderbar dagegen halten die Swedenborgianer und die Anhänger der auf ihn zurückgehenden "Neuen Kirche" sein Wirken in der Aufklärungszeit. Swedenborg kam als Sohn des späteren Bischofs von Skara, Jesper Swedberg, am 29. Januar 1688 in Stockholm zur Welt. Die Familie wurde 1719 in den erblichen Adelsstand erhoben, wonach sie sich Swedenborg nannte.

      Der junge Emanuel zeichnete sich durch intensive Frömmigkeit, aber auch durch eine überdurchschnittliche Intelligenz (IQ >200) aus. Im Studium wandte er sich der Naturforschung zu. Zahllose mechanische Erfindungen entsprossen der Schaffenskraft des Stockholmer Wissenschaftlers. Wir kennen ein funktionierendes Schiffshebewerk oder die Idee einer Flugmaschine. Im Ausstellungsbereich der Württembergischen Landesbibliothek hing bis vor Kurzem ein Flugmodell nach seinen Skizzen von 1716.
      Seit 1710 erweiterten zahlreiche Reisen, besonders nach London, den wissenschaftlichen Horizont des alsbald nur materialistisch denkenden jungen Mannes und verschafften ihm Kontakte in ganz Europa. Später erforschte er die Erdgeschichte anhand von Fossilien, und wurde sodann zu einem der kenntnisreichsten Geologen seiner Zeit, was ihm die Stellung eines Bergbauassessors im Königreich Schweden einbrachte.
      Sein Forscherdrang richtete sich jedoch zunehmend auf die inneren Zusammenhänge der Welt und die leiblich-geistigen Verbindungen im Menschen. So entdeckte er als erster, welche Bedeutung das Gehirn und die Nerven im Körper haben. Aber ungelöst blieb die Frage, wo sich die substantielle Seele im Körper befindet, die auch im Inneren des Körpers als sichtbar vermutet wurde. Seine auf anatomischen Experimenten beruhenden Gehirn- und Nervenstudien gerieten so in eine Sackgasse. Schon um 1740 hat Swedenborg den "Glauben" an die Vorherrschaft experimenteller Erkenntnisse schmerzhaft ablegen müssen. Seine religiöse Veranlagung und Erziehung sowie die stete Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, zogen nicht nur akribische Studien nach sich, sondern stürzten den Mann auch in eine religiöse und existentielle Krise. Zunehmend überkamen ihn Träume, in denen er innere Kämpfe ausstehen mußte.
      Sein Traumtagebuch von 1743/44 gibt darüber beredt Zeugnis. In einer weiteren Phase der Konzentration auf das innere Leben hatte er 1744 und 1745 mehrere Christusvisionen, die er später als Bekehrungserlebenisse verstanden wissen wollte. Die Erscheinungen, die sich in intensive Visionen wandelten, verdichteten sich mehr und mehr und führten ihn zu einer neuen Glaubensgewißheit und Zufriedenheit. Ja, der ursprüngliche Materialist Swedenborg wurde zu einem bibelgläubigen Christen eigener Prägung, der sich damit aber mehr Feinde als Freunde schuf.
      Swedenborg hing einem alten System an, das wir Korrespondenzlehre nennen: Alle materiellen Erscheinungen unserer Welt, ja des ganzen Kosmos sind nur Abbilder von einer geistigen Überwelt, welche die eigentliche, die wirkliche Welt ist. Gott, begriffen als Liebe und Weisheit, schuf all diese Wirklichkeiten und hat abgestuft Anteil an ihnen. So fließen Gottes Liebe und Weisheit in unsere natürliche Welt ein. In die geistige Überwelt hatte Swedenborg von etwa 1745 bis zu seinem Tode visionäre Einblicke und hörte aus der Hölle die Stimmen der bösen Geister und aus dem - gestuften - Himmel die Stimmen der guten Geister und Engel, die alle ehemalige natürliche Menschen waren. Somit versteht sich der ganze Kosmos als ein Großmensch.
      Swedenborg sagte oft, der Herr selbst habe ihn auserwählt, innerlich zu sehen; er erzählte, wie ihn die Engel belehrt hätten, das rechte Verständnis des Wortes zu finden. Die "durchgängige Göttlichkeit der Heiligen Schrift" (Immanuel Tafel) ist Grundlage der Swedenborgischen Theologie. Dabei versteht der den wörtlichen und historischen Sinn der Schrift als zur natürliche Welt gehörig, der eigentliche, der spirituell Sinn ist dahinter verborgen. Swedenborg meinte, ihm sei es geoffenbart worden, diesen inneren Sinn der Bibel aufzudecken. Seine "Neuoffenbarung" besteht demnach nicht aus Hinzugefügtem, sondern ist - älteren Vorbildern ähnlich - eine Art symbolischer Auslegung.

      Sein exegetisches Hauptwerk, die "Arcana Coelestia" (Himmlische Geheimnisse), die Erklärung der Korrespondenzen in 1. und 2. Mose, verrät seine alte wissenschaftliche Beharrlichkeit.
      Immanuel Kant verdammte das Werk als Unsinn, ohne jedoch widerlegen zu wollen, daß man in die andere Welt Einblick tun könne. Friedrich Christoph Oetinger hatte als erster Deutscher Briefkontakt mit Swedenborg und entdeckte viel Verwandtes in seiner eigenen Theologie. Auch Philipp Matthäus Hahn, Johann Michael Hahn, Friedrich Oberlin, ferner Goethe und Schelling haben aus Swedenborg Wesentliches übernommen. Swedenborgs Neuverständnis hatte Auswirkungen auf die Dreipersonenlehre in der Dreieinigkeit, auf die lutherisch-orthodoxe Erbsünden- und Rechtfertigungslehre, auf den Glauben an das Sühnopfer Christi und auf die paulinische Auferstehungsvorstellung, der Swedenborg das Weiterleben der Seele als Geist in der Überwelt entgegensetzte.
      Schließlich verneinte er die irdische Wiederkunft Christi zu einem bestimmten Zeitpunkt. Für Swedenborg hatte das Gericht in der geistigen Welt bereits stattgefunden. Das in Offb. 21 verheißene neue Jerusalem war als "Neue Kirche" schon errichtet. Viele Nachfolger sahen darin die Aufforderung, dieser Neuen Kirche organisatorische Selbständigkeit zu verschaffen. Der Ausgrenzungskampf begann. Auch Württemberg hatte seine Opfer, wie Johann Friedrich Immanuel Tafel in Tübingen oder - der bekannteste - Gustav Werner in Reutlingen. In England, in Nordamerika und auch in Südafrika bestehen heute noch, wenn auch kleinere Gemeinden verschiedener Ausrichtung. Die Neue Kirche in der Schweiz und Deutschland ist derzeit um ökumenische Gemeinsamkeit bestrebt.